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Liebe Angst (2023)

Intensiver Dokumentarfilm über nicht verheilte Wunden, transgenerationale Traumata und die Folgen des Holocaust.Kritiker-Film-Bewertung: unterirdischschlechtmittelm??iggutweltklasse 3 / 5
User-Film-Bewertung [?]: unterirdischschlechtmittelm??iggutweltklasse 3.0 / 5

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Lore war sechs Jahre alt, als ihre Mutter Marianne Seligsohn nach Auschwitz deportiert wurde. Täglich schreibt sie Artikel aus dem Weser-Kurier auf Karteikarten, archiviert sie in Kisten, Körben und Kartons. Kim ist die Tochter von Lore. Kim liebt Musik und ihre Hunde, hält an ihrem selbst gefundenen Glauben fest, der ihr den Halt gibt, den ihre Familie, ihre Mutter nie geben konnten. Ihr Bruder Tom hat sich vor gut 20 Jahren das Leben genommen, sie hat "überlebt", ebenso wie ihre Mutter, die als Kind vor den Nazis versteckt wurde. Die Wunden dieser Zeit, den Mord an ihrer Mutter hat Lore nie verkraftet, ihre Traumatisierungen übertrug sie, unwissentlich, weil sie es nicht besser wusste und nicht anders konnte, auf ihre Kinder.

"Liebe Angst" begleitet Lore und Kim bei einer mühsamen Annäherung: Kim möchte sprechen, über ihre Kindheit, über die Angst, über die fehlende Liebe, aber auch über die Gründe ins Lores Leben, um damit abschließen zu können. Der Film porträtiert diesen für beide schwierigen Weg, der keine "Erlösung" bringt, auch keine Lösung aller Konflikte, aber eine Tür für gegenseitiges Verständnis - und Liebe, statt der Angst - öffnet.

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Filmkritikunterirdischschlechtmittelm??iggutweltklasse3 / 5

"Liebe Angst" ist eine schmerzhafte und intensive Reise in 2 Vergangenheiten

Das Drehbuch des von Sandra Prechtel inszenierten Werks wurde von Protagonistin Kim Seligsohn mitverfasst, die ihre Mission der Konfrontation mit ihrer Mutter filmisch dokumentieren will: Im Kern ist "Liebe Angst" ein Porträt und eine Auseinandersetzung mit dem Thema "transgenerationale Traumata", wie sie insbesondere in Familien von Holocaust- und Kriegs-Überlebenden (allgemein: bei von Gewaltverbrechen Betroffenen) häufig vorkommen. Lore, Kims Mutter, verlor als Kleinkind ihre Mutter und trug Gefühle von Schuld und Erinnerungen an die grausamen Verbrechen der NS-Zeit, die sie miterlebt hatte, ihr Leben lang mit sich herum. Als Mutter zweier Kinder großteils auf sich allein gestellt, in einer anderen Zeit, bahnten sich die Traumata ihre Wege an die Oberfläche und hinterließen auch Spuren in ihren eigenen Kindern.

Kim erzählt etwa davon, dass ihre Mutter öfter nachts in der Wohnung im Kreis gelaufen war, da sie nicht schlafen konnte und davon, dass sie einige Jahre nichts aß und völlig abmagerte. Die Kinder hätten sich um sie kümmern müssen. Sie gab ihrer Mutter immer eine gewisse Mitschuld an dem, was in ihrem Leben falsch lief, will sie nun mit den Hintergründen konfrontieren, der Verdrängung Lores, der Nicht-Verarbeitung deren Traumata, während Kim natürlich als nun erwachsene Frau ein gewisses Verständnis mitbringt: unschuldig schuldig wäre Lore wohl in ihren Augen.

Eine Mutter-Tochter-Beziehung - bestimmt durch Liebe und Angst

"Liebe Angst" ergreift nicht klar Position, sondern versucht, das Thema in seiner ganzen Komplexität darzustellen: Lore ist Opfer, Traumatisierte, Überlebende, die viel früher Hilfe, Unterstützung, Therapie gebraucht hätte, in einer Zeit, in der Krankheiten wie PTBS noch kaum verstanden wurden und es die notwendige Hilfe vielfach nicht gab. Gleichzeitig ist sie "Täterin" in dem Sinne, dass Lore und ihr Bruder mit der Hilflosigkeit ihrer Mutter konfrontiert waren, damit überfordert waren und selbst darunter litten. Verwandte erzählen Ähnliches, Kims Cousine berichtet, dass ihr Vater - Lores Bruder und Kims Onkel - übergriffig war, sie etwa an der Brust angefasst hatte, das aber "akzeptiert werden musste", da er eben "traumatisiert" war und "nichts dafür konnte". Gelitten haben die damaligen Kinder darunter natürlich dennoch.

Keine Lösung, keine Katharsis, nur Annäherung

So gibt es auch keine Katharsis, keine allesgutmachende Versöhnung zwischen Eltern und Kindern, zwischen Lore und Kim, sondern eine vorsichtige Annäherung zwischen Angst und Liebe, die die Mutter die Sorgen und Verletzungen ihrer Tochter besser verstehen lässt und die Tochter der Mutter - vielleicht - vergeben lässt.

Leichte Kost ist "Liebe Angst" jedenfalls keine, in manchen Szenen ist die emotionale Intensität und Spannung geradezu greifbar, andere - insbesondere jene mit Schilderungen von Lore - lassen einen mehrmals schlucken. Regisseurin Prechtel beobachtet alles mit unaufgeregten Kameraeinstellungen, aus dem Off kommentiert und erläutert Kim als Autorin ihrer eigenen Geschichte und als Erzählerin.

Mitunter hätte man sich noch etwas mehr "Konfrontation" gewünscht, detailliertere Einblicke in die Beziehung der beiden, in Kims und Lores Kindheit, darüber, ob für Kim, aber auch für Lore schließlich eine ausreichende Be- und Verarbeitung der erlittenen Traumata möglich war. Da dies aber von menschlichen Prozessen vorgegeben wird, die durch einen Film zwar angestoßen, aber nicht vorgegeben werden können, kann man "Liebe Angst" nicht vorwerfen, Dinge nicht abzubilden, die möglicherweise nie stattgefunden haben.

Fazit: "Liebe Angst" ist das Porträt eine schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung, der Versuch der filmischen Dokumentation einer Aufarbeitung von Verletzungen und ein anschaulicher Report über das Wesen transgenerationaler Traumata. Filmisch ordentlich umgesetzt, fehlt dem Dokumentarfilm letztlich nur die inhaltliche Breite, Tiefe und Dichte, um auf ganzer Linie überzeugen zu können.




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Besetzung & Crew von "Liebe Angst"

Land: Deutschland
Jahr: 2023
Genre: Dokumentation
Kinostart: 23.03.2023
Regie: Sandra Prechtel
Darsteller: Lori Butler, Kim Seligsohn
Kamera: Susanne Schüle
Verleih: Real Fiction

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