Return to Dust (2022)

Mit dem Riesenreich China ist längst auch in der Filmlandschaft zu rechnen. Selbst wenn es weiterhin nur ein Bruchteil der dort produzierten Filme in die deutschen Kinos schafft (und chinesische Blockbuster hierzulande sträflich vernachlässigt werden), was bei uns ankommt, kann sich sehen lassen. So auch das Drama des 1983 geborenen Regisseurs Ruijun Li, das im Wettbewerb der Berlinale 2022 um den Goldenen Bären konkurrierte.

"Return to Dust" ist Lis sechster abendfüllender Spielfilm. Darin wirft er abermals einen Blick auf seine Heimat, die ländlich geprägt, aber auch von Landflucht geplagt ist. Der Regisseur entführt uns nicht in das hochmoderne China der glitzernden Megacitys, sondern in eine Gegend der Gegensätze. Der staatlich gelenkte Turbokapitalismus ist noch nicht in jeden Winkel vorgedrungen, breitet sich aber unaufhaltsam aus. Während die Protagonisten noch in Lehmhütten hausen, mit Holz heizen und ihre Ernte mit einem Eselskarren einbringen, fährt der Fortschritt in Gestalt eines Verwandten mit einem Luxusauto vor. Was der Verwandte braucht – beispielsweise eine lebensrettende Blutspende –, glaubt er, sich billig erkaufen zu können. Und was in den Augen der Regierung nicht passt, wird einfach passend gemacht: die von Armut und Rückschritt zeugenden leerstehenden Häuser reißt ein Bagger nieder. Mit ihnen verschwindet auch ein Stück alte Lebensweise.

Die Dichotomie zwischen Land und Stadt, Tradition und Moderne, Rückständigkeit und Fortschritt, die Li, der auch das Drehbuch verfasst hat, hier aufmacht, ist simpel. Die Realität ist freilich komplizierter und nirgends so klar in ehrliche und grundanständige Menschen und Menschen, die vom Kapitalismus korrumpiert sind, geschieden wie in diesem Film. Doch das ist ja gerade das Schöne an Fiktion, dass sie die Wirklichkeit nicht dokumentarisch abbilden muss, sondern überhöhen kann. Als Geschichte über zwei Unschuldige, zwei vom Leben Gebeutelte und von ihren Familien Gedemütigte, die alle Widrigkeiten stoisch erdulden, sich ihre Moral und Würde bewahren und entgegen aller Wahrscheinlichkeit ihr bescheidenes Glück finden, funktioniert "Return to Dust" hervorragend.

Ruijun Li inszeniert dieses kurze Glück – denn in einem Drama, in dem die Auswüchse des Kapitalismus keine positive Rolle spielen, kann das Glück nicht von Dauer sein – unaufgeregt und mit langem Atem. Von den 133 Minuten ist keine zu viel. Im schmaleren 1,55:1-Format und in lange gehaltenen Einstellungen gefilmt, sieht Li seinen zwei Hauptfiguren einfach beim Leben zu, das sich nach dem Wechsel der Jahreszeiten richtet. Die harte Arbeit spiegelt sich in ihren wettergegerbten Gesichtern wider. Der Filmstar Hai-Qing und der Laie Renlin Wu, ein Onkel des Regisseurs, spielen das ganz wunderbar und voller Zärtlichkeit für ihre Figuren und füreinander.

Ohne die chinesische Wirtschaftsform, die Regierung und deren fragwürdige Politik je direkt zu kritisieren, ist die Kritik daran offensichtlich. Das fiel irgendwann auch den Behörden auf. Während "Return to Dust" bei der Berlinale noch zu sehen, allerdings bereits mit einem alternativen Ende versehen war, wurde er nach seinem chinesischen Kinostart im Juli 2022 bereits im September 2022 verboten und ist seither weder im Kino noch bei Streaminganbietern zu sehen. Wenn er nun in den deutschen Kinos startet, erinnert uns das zwangsläufig auch an die Freiheiten, die wir hier genießen und macht die kleinen Freiheiten, die sich die Protagonisten in Ruijun Lis Film hart
erkämpfen müssen, umso deutlicher.

Fazit: Ruijun Lis sechster abendfüllender Spielfilm erzählt mit langem Atem vom harten Leben auf dem Land, auf dem alles Leben aus den staubigen Ackerböden kommt und am Ende zum Staub zurückkehrt. "Return to Dust" ist ein zärtliches Drama über zwei Außenseiter, die ihr Schicksal stoisch erdulden und allen Widrigkeiten zum Trotz ihres eigenen Glückes Schmiede sind. Ein poetischer Film über hart erkämpfte kleine Freiheiten und die Vergänglichkeit.