FBW-Bewertung: She Said (2022)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Es gibt zu jeder Zeit Filme, die sich mit dem Oberthema Journalismus auseinandersetzen, die aus dem Stand heraus zu prägenden Werken ihrer Zeit werden. Im Jahre 1976 war dies Alan J. Pakulas DIE UNBESTECHLICHEN / ALL THE PRESIDENT?S MEN mit Dustin Hoffman und Robert Redford in den Hauptrollen, im Jahre 2022 setzt Maria Schrader mit SHE SAID bei ihrer ersten Arbeit in den USA ein ähnliches Schlaglicht auf eine öffentliche Affäre und deren akribische journalistische Aufarbeitung.Ähnlich wie Pakulas Film liegt auch diesem aktuellen Schlüsselwerk über die Macht und Wichtigkeit der vierten Gewalt ein wahrer Fall zugrunde, der die Welt erschütterte und ein längst überfälliges Umdenken in Gang setzte. Maria Schraders atemloses und zugleich bedächtiges Drama nimmt den 2017 erschienen Enthüllungsartikel von Megan Twohey und Jodi Kantor in der New York Times sowie das daraus resultierende Buch ?She Said - Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite the Movement? als Grundlage. Davon ausgehend zeichnet der Film mit großer Einfühlsamkeit und Genauigkeit den steinigen Weg nach, den die beiden Journalistinnen gemeinsam mit der Redaktion ihrer Zeitung auf sich nahmen, um den ersten Gerüchten um sexuelle Belästigung und Übergriffe des mächtigen Produzenten Harvey Weinstein nachzugehen.
Wer die Regiearbeiten von Maria Schrader kennt, kommt nicht umhin, ihrer Fähigkeit höchste Anerkennung zu zollen, sich und ihre Filmsprache von Film zu Film und dem jeweiligen Thema und Inhalt angemessen gegebenenfalls neu zu erfinden. Waren es bei ihrem vorherigen Spielfilm ICH BIN DEIN MENSCH noch vorwiegend exzentrische und überaus artifizielle Tableaus, mit denen die Regisseurin arbeitete, so arbeitet sie hier viel enger an der Gegenwart orientiert, zeigt den mitunter mühsamen Werg der Recherchen, der Holz- und Irrwege, der Redaktionssitzungen und Einschüchterungsversuche, die ein diffuses Gefühl der allgegenwärtigen Bedrohung erzeugen, zugleich aber vieles im Ungefähren belassen und so einen wirkungsvollen Spannungsbogen erzeugen. Auch die beiden Hauptdarsteller*innen Carey Mulligan und Zoe Kazan stellen sich wie der gesamte Cast ganz in den Dienst der Sache und agieren überaus zurückhaltend. So sorgen sie für ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, wenn sie im Film mehrmals betonen, dass die vor allem den Opfern der nicht bloß individuellen, sondern auch systemimmanenten Gewalt im Filmbusiness eine Stimme verschaffen wollen.
Zugleich kommt SHE SAID zu einer Zeit in die Kinos, in der Fake News, Propaganda und ein großes Misstrauen gegen die Arbeit seriöser Medien scheinbar in Mode gekommen und gesellschaftlich akzeptabel geworden zu sein scheint. Umso wichtiger ist dieser Film, der die Ernsthaftigkeit investigativer Arbeit, die Quellen vielfach absichert und die sich gänzlich uneitel in den Dienst der richtigen Sache stellt, in den Mittelpunkt stellt, ohne die Protagonist*innen auf einen Sockel zu heben, Tätern wie Weinstein allzu viel Screen Time zu gewähren und damit die Opfer aus dem Auge zu verlieren. Dass mit Ashely Judd eines der Opfer Weinsteins als sie selbst in den Film auftaucht, wäre zwar nicht unbedingt nötig gewesen um dessen Anliegen zu untermauern, andererseits zeugt dieser Auftritt davon, wie präzise und einfühlsam Maria Schrader und ihre Mitstreiter:innen hier zu Werke gingen. Eine Haltung, die auf jeder Ebene höchsten Respekt verdient.
Mit großer Einmütigkeit erteilte die Jury der FBW diesem wichtigen Film das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)