FBW-Bewertung: Die Fabelmans (2022)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Die Jury war sich einig: mit DIE FABELMANS hatte man zweieinhalb Stunden ein filmisches Meisterwerk gesehen, wenn auch ? und das ist in keinem Fall abwertend gemeint das Werk eines Altmeisters. Denn die quasi-autobiografische Familiengeschichte ? mit dem Schwerpunkt der Coming-of-Age-Geschichte von Sammy Fabelman ? ist klassisch und chronologisch erzählt. Eine gewisse Eleganz vermittelt sich schon mit dem Familiennamen Fabelman, wodurch das charmante Fabulieren im Titel angedeutet wird und womit sich Spielberg leicht augenzwinkernd von der Anforderung des ?So war es ganz genau? seines Biopics verabschiedet.Dass Steven Spielberg dabei nicht eine Minute Langeweile verbreitet, liegt am gekonnten Einsatz aller filmischen Mittel: Nicht nur, dass der im Film ironisch als Schlüsselerlebnis eingesetzte Ratschlag des alten John Ford beherzigt wurde, den Horizont nie die Mitte des Bildes teilen zu lassen ? vor allem die Kameraarbeit von Janusz Kaminski findet über die reine Abbildung der Szenen hinaus für viele Szenen gekonnte Perspektiven, wie den Familientisch etwas distanziert aus einem erhöhten Winkel zu zeigen oder auch Spiegelungen von Szenen. Die Kamera schafft die ideale Balance aus Teilnahme und Betrachtung, indem sie oft die Augenhöhe verlässt oder eben selbst durch einen Sucher schaut? Immerhin geht es um die Kindheit eines späteren Regiemeisters, der schon als kleiner Junge mit der Kamera und mit den Möglichkeiten des Films experimentiert.
Genial ist auch die Ausleuchtung jeder einzelnen Szene, die Natürlichkeit schafft, doch die Erinnerung an die Kindheit romantisch und farbstark leuchten lässt. Film bleibt für Spielberg eben auch Kunstwerk im doppelten Sinne von Kunst und Künstlichkeit. Und hier wird ? trotz Chronologie ? ein Spannungsbogen gehalten: vom ersten Kinoerlebnis bis zum Einstieg ins Filmbusiness, von sechs bis 18 Jahren, dabei geht der rote Faden des ?Er wird einmal Filmemacher werden? nie verloren.
Überhaupt ist der sicher hohe Produktionsaufwand extrem unbemüht und unspektakulär eingesetzt. Durch diese Zurückhaltung kann auch die Geschichte selbst besser wirken und die Widerhaken im Jugendleben des Protagonisten zur Geltung kommen, ohne dabei aufdringlich präsentiert zu werden.
Angenehm aufgefallen ist der Jury auch, dass Spielberg nicht um einer größeren Fallhöhe willen die Geschichte künstlich radikalisiert. Die dysfunktionale Ehe der Eltern verursacht eben keine Familienhölle, vielmehr bleiben sich die Eltern trotz alledem gewogen und erzeugen so auch bleibende Geborgenheit für Sammy und seine jüngeren Geschwister. So ist der Film auch eine Hommage an Vater und Mutter, die das Aufwachsen ihrer Kinder sympathisch liberal und unterstützend begleiten. Womit DIE FABELMANS ein gelungener Familienfilm ist, der ? ohne Problematiken zu leugnen ? Zuschauerinnen und Zuschauer sanft zu Diskussionen über Familienstrukturen, Abnabelung und Erziehung anregt ? und sich für die Förderung und vor allem liebende Begleitung von Talenten von Kindern stark macht.
Etwas zu glatt erschien der Jury allenfalls das völlige Ausblenden von Politik und gesellschaftlichen Umbrüchen der 60er Jahre (mit dem Kennedy- oder Martin-Luther-King-Attentat). Womit der Film aber eben auch eine fast zeitlose Allgemeingültigkeit erreicht. Nicht ausgeblendet ist der Antisemitismus, den Sam als Schüler in Form von brutalem Mobbing in Kalifornien an der Highschool erlebt; oder das Trauma des Schmächtigseins sowie die Überforderung eines Kindes, wenn es ein Geheimnis über die Eltern mittragen muss. Und was die Macht der Bilder angeht: Auch die Verantwortung, die mit der Darstellung und Überhöhung von Wirklichkeit im Film einhergehen, wird behandelt.
Für einen intelligenten Unterhaltungsfilm für die ganze Familie erfüllt DIE FABELMANS so alle Kriterien bilderbuchartig und meisterlich. Bei alledem überraschen natürlich auch die neun Oscarnominierungen nicht: weil Hollywood Steven Spielberg ? natürlich auch als kommerziellen Retter ? auch und gerade liebt, wenn es um Film im Film, also um Hollywood selbst geht.
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)