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FBW-Bewertung: Zeiten des Umbruchs (2022)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: James Gray gelingt mit seiner neuen, offenkundig autobiografisch inspirierten Arbeit ein herausragender Film, der ebenso emotional fesselnd wie ungemein klug erzählt ist. Wir begeben uns in die Perspektive des weißen Jungen Paul, der in einer Familie aus Europa stammender Juden im New Yorker Stadtteil Queens der 1980er Jahre aufwächst. Revoltierend in klassisch präpubertärer Manier provoziert er regelmäßig Eltern und Lehrer und freundet sich auf seiner öffentlichen Schule mit dem ähnlich aufmüpfigen Johnny an, einem der wenigen Schwarzen Mitschüler. Schnell lernt Paul die Grundzüge der ihn umgebenden Gesellschaft kennen, die im Umgang mit den beiden Freunden mit zweierlei Maß misst. Die Situation spitzt sich zu, als Paul in eine konservative Privatschule versetzt wird, eine Schule, über die Fred Trump seine schützende Hand hält und in der People of Colour gar nicht erst zugelassen sind.
Es ist grandios, wie es dem Film auf klare und markerschütternde Weise gelingt, den strukturellen Rassismus der abgebildeten Gesellschaft offen zu legen. Der Film offenbart, dass Menschen wie Johnny dieses System jederzeit zu spüren bekommen, während ein Privilegierter wie Paul es bestenfalls in Momenten durchschaut ? wenn er diese Momente denn überhaupt ins Bewusstsein lässt. Der Film ist aus der Perspektive eines solchen Privilegierten erzählt, dem schlagartig bewusst wird, welche Verhaltensweise ihm in diesem System zugedacht ist und sich entscheiden muss. James Gray verpackt diesen Moment in eine großartige Szene, in der beide Jungs für ein gemeinsames Vergehen auf der Polizeiwache sitzen. Nur, wer sich als Weißer diesem konservativen, rassistischen Gesellschaftssystem anpasst, so zeigt der Film, kann einen erfolgreichen Weg beschreiten. Und so wird mit einer Geschichte aus den 1980ern der Blick schließlich auf erschütternde Weise frei auf die aktuelle Situation, auf Pauls Generation, die heute an den Schaltstellen von Macht und Gesellschaft sitzt und ihre Lektionen aus der Jugend zur Grundlage ihres Handelns macht.
An der Kamera gelingt Darius Khondji ein fast nostalgischer Independentfilm-Look. In stimmiger Zusammenarbeit erschaffen die kreativen Gewerke eine 80er-Jahre-Welt, die jenseits des typischen poppig Bunten liegt. Passend zum erzählten Konservatismus erinnern sowohl die oft in Brauntönen gehaltenen Bilder als auch die Ausstattung eher an den Mief der 1950er, der ja auch weitgehend das Weltbild des Films bestimmt ? neben dem Rassismus, das zeigt der Film ebenfalls deutlich, gehört zur gezeigten Gesellschaftsstruktur eben auch das (zunehmend hilflos wirkende) Patriarchat. Der sehr authentisch wirkende Film, der auch Ambivalenzen zulässt, der mit seinen berührenden Figuren und mit seinem so gekonnt gesetzten Erzählton und -rhythmus sukzessive unter die Haut kriecht, hat die Jury nachhaltig und einstimmig begeistert. Gerne verleiht sie das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL



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