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FBW-Bewertung: Moonage Daydream (2022)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: David Bowie ist einer der einflussreichsten, beliebtesten und originellsten Popkünstler des 20. Jahrhunderts. Zwischen den 1960er und 2010er Jahren hat er sich und seine Musik immer wieder neu erfunden. Er ist Moden nicht gefolgt, sondern er hat sie initiiert und blieb dabei bis zuletzt immer auf der Höhe der Zeiten. Kann ein Dokumentarfilm oder ein biografischer Spielfilm dieser schillernden Persönlichkeit gerecht werden, oder ist es nicht sinnvoller, ihm selber mit seinen Worten, seinen vielen Verwandlungen, seinen Selbstinszenierungen und natürlich seiner Musik die Bühne zu überlassen?

Diesen Weg ist Brett Morgen in MOONAGE DAYDREAM gegangen, einem Film, den man am ehesten noch eine Revue nennen kann. Die Erben des Künstlers gewährten Morgen Zugang zu seinem Nachlass, und in deren Archiven fanden sich Konzertaufnahmen, Fernsehinterviews, Tagebücher, Zeichnungen und vieles anderes. Morgen arbeitete vier Jahre lang daran, dieses Material zu montieren. So ist MOONAGE DAYDREAM fast ausschließlich eine Kompilation der vom Filmemacher und seinem Team gefundenen Werke Bowies. Denn als Kunstwerke kann man auch seine öffentlichen Auftritte bezeichnen: seine vielen Interviews, von denen viele ihren Weg in den Film gefunden haben, weil David Bowie darin meist sehr reflektiert, offen und hellsichtig von sich, seinem Leben und seiner Kunst erzählt. Auch dabei spielt er natürlich eine Rolle. Über die Jahre schälte er immer wieder eine Haut ab, erschafft sich neu in einer weiteren Kunstfigur und mit einer anderen Musik, sodass man von David Bowie nur das Unerwartete erwarten konnte. Bei den Interviews gab es aber doch eine Konstante: immer war er den Interviewern überlegen. Seine Antworten waren schlagfertig, einfallsreich und oft auch witzig. Abgesehen von den Fragen der Interviewpartner und -partnerinnen, die Bowie vor allem guten Vorlagen boten und Bowies Fans kommt im Film nur David Bowie zu Wort. Da wird dann auch mal Nietzsche zitiert, aber an anderer Stelle gibt Bowie selbstironisch zu, dass er sich seine Philosophie aus gefundenem Stückwerk zusammengebastelt hat. Einer seiner ehrlichsten Sätze ist dann auch ?Ever since I was 16, I was determined to have the greatest adventures, any person could ever have.?

Oft überwältigt und überfordert die Bilderflut, die Morgen in den 134 Minuten seines Films loslässt das Publikum. Aber dies ist ein Film, der mehrmals gesehen werden kann und soll. Es gibt im Film kaum Aufnahmen, die nicht aus den vielen Archiven stammen, aus denen Morgen sich bediente. Eine Ausnahme sind die Animationen und Grafiken von Stefan Nadelmann, die vor allem die Songs von Bowie illustrieren. Denn einer Handvoll von Songs, die jeweils eine seiner Schaffensphasen repräsentieren und auf den Punkt bringen, gibt Morgen Raum. Für eine bestechende Qualität bei der Musik sorgen Bowies langjähriger Produzent Tony Visconti und der Sound Editor David Giammarco. Morgen vermeidet die bekannten, so oft gesehenen Bilder von Bowie, wenn er etwa bei ?Let´s Dance? nicht das Musikvideo zeigt, das eine Ikone der 1980er Jahre wurde. Stattdessen interpretiert Bowie seinen großen Hit bei einem Konzertauftritt. Auch sonst gibt es Leerstellen im Film: Seine Duoprojekte mit Freddy Mercury, Mick Jagger und Tina Tuner bleiben unerwähnt und auch seine Arbeit als Filmschauspieler wird, abgesehen von wenigen Ausschnitten, kaum thematisiert. Stattdessen gibt es mehrere lange Einstellungen von der Theaterinszenierung, in der Bowie 1980 in New York den Elefantenmenschen spielte. Morgen überrascht auch, indem er einige von Bowies neoexpressionistische Zeichnungen und Gemälde zeigt. Statt der ?Greatest Hits? präsentiert er die lieber Facetten des künstlerischen Werkes Bowies, die weniger bekannt sind. Und so wird MOONAGE DAYDREAM dem schillernden Faszinosum David Bowie kongenial gerecht.

Im Anschluss an eine spannende Diskussion und in Abwägung aller Argumente erteilt die Jury dem Film gerne das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.



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