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Burning Days (2022)

Kürak Günler

Kluger und tiefgründiger Polit-Thriller über Macht, Ohnmacht und die Verführbarkeit der MasseKritiker-Film-Bewertung: unterirdischschlechtmittelm??iggutweltklasse 5 / 5
User-Film-Bewertung [?]: unterirdischschlechtmittelm??iggutweltklasse 5.0 / 5

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Der junge, idealistische Staatsanwalt Emre (Selahattin Paşalı) landet im (fiktiven) türkischen Provinzkaff Yaniklar und soll dort für Recht und Ordnung sorgen. Begrüßt wird er mit Gewehrsalven, die der Wildsau gelten, die gerade durchs Dorf getrieben wird, nicht wissend, dass später er deren Platz einnehmen wird. Vorerst aber wird seiner Ankunft seitens der Bewohner der Kleinstadt aber noch mit Wohlwollen (und gespielter Unterwürfigkeit) begegnet. Immerhin soll der die Hintergründe aufklären, die zur Entstehung der Dolinen (großer Erdlöcher) führen, mit dem die zudem an chronischer Wasserknappheit leidende Gemeinschaft zu kämpfen hat.

Schon bald aber wird Emre klar, dass in Yaniklar nicht alles ist, wie es scheint. Er wird manipuliert, auf verschiedenste Arten verführt, in Konflikte hineingezogen, gerät zwischen mehrere Fronten, inmitten von Lügen, sodass er bald selbst nicht mehr weiß, wo er in diesem Spiegelkabinett, das die widersprüchlichen Interessen dieser komplexen Kleinstadt ergeben, steht.

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Filmkritikunterirdischschlechtmittelm??iggutweltklasse5 / 5

"Burning Days" ist ein anspruchsvoller, verworrener Paranoia-Thriller mit Western-Anklängen geworden, der aus einem vermeintlich einfachen, banalen Setting und einem ebensolchen Handlungsschauplatz eine komplexe Parabel über Wahrheit und Lüge, Manipulation, Recht und (Un)Ordnung, Korruption und die Macht einer verführten Masse formt. Protagonist Emre ist dabei die Lupe, durch die das Publikum verstörende Vorkommnisse beobachten darf, ohne dass diese Lupe ein sonderlich klares Bild zeigen würde, was in Yaniklar eigentlich vor sich geht.

Emre selbst wird erst als idealistischer, moralisch integrer, aber auch pedantischer Städter gezeichnet, der in die Provinz versetzt wurde und sich nur mit Schwierigkeiten in die lokalen Gepflogenheiten einfügen kann. Ein erzwungenes Gelage mit dem Bürgermeistersohn vernebelt Emres Sinne, er weiß selbst nicht mehr so genau, was an diesem Abend passiert ist - und genauso geht es den Zuschauern. Wurde er Opfer einer perfiden Intrige, bei der es um Macht und politische Interessen ging? War er gar Mittäter einer Vergewaltigung? Oder verbrachte er die Nacht mit einem lokalen Journalisten, der wiederum ganz eigene Interessen verfolgt? Emre kann sich selbst nicht erinnern, stolpert durch seine Erinnerung wie durch diese Kleinstadt, deren soziales Gefüge so löchrig ist wie das von Dolinen zerklüftete Umland.

Regisseur Emin Alper inszeniert sein Mischung aus Drama und Thriller erstklassig und mit klaren Bildern, die einen Kontrapunkt zur verworrenen Handlung darstellen. Hervorzuheben ist der Soundtrack, der die triste, düstere Stimmung ideal unterstreicht und für eine Atmosphäre der Ohnmacht sorgt, die im Lauf der Handlung immer weiter anschwillt.

Neben allen formalen Vorzügen ist "Burning Days" im Kern eine kluge, äußerst vielschichtige Parabel über "geschlossene Systeme", über die Verführbarkeit von (ungebildeten) Massen, die einem Brechts "Erst kommt das Fressen, dann die Moral" ins Gedächtnis ruft. Die ärmliche Bevölkerung Yaniklars hat zuvorderst ein Interesse: Sauberes Wasser und genug davon. Der amtierende Bürgermeister verspricht vor der anstehenden Wahl, dafür zu sorgen. Die durch seine Wasserspeicheranlagen verursachte Zerstörung des Umlands, die in naher Zukunft auch die Stadt selbst erreichen könnte (Informationen, die durch eine gefälschte Studie verschleiert wurden, was Emre nun aufklären soll), interessiert die zu einem anonymen, gesichtslosen Mob werdende Bevölkerung nicht. Sie denkt an ihr naheliegendes Interesse - Wasser, zum Leben, zum Trinken - und sieht über die langfristigen Konsequenzen ihrer Wünsche, Forderungen, Handlungen hinweg (auch, weil sie sie nicht kennt, weil sie niemand darüber aufklärt), und damit auch über die Korruption, die der Bürgermeister einsetzt, um "sein Volk" glücklich zu machen.

Zum einen ist das Verhalten der Bewohner nachvollziehbar: Es geht um basale Fragen der Lebensqualität und der Gesundheit, Wasser ist lebensnotwendiges Gut. Zum anderen legt "Burning Days" hier das Problem von Ressourcenknappheit auf der einen, einer unaufgeklärten, uninformierten Masse auf der anderen Seite offen, und deren Lenkbarkeit durch Populisten. Denn schlussendlich steht sie mit Fackeln und Gewehren vor dem Haus des Staatsanwalts, der eigentlich gekommen war, um sie aufzuklären und ihnen zu helfen.

Der Film illustriert damit im Kleinen große, universelle Fragen, die auch in unserer Gesellschaft immer sichtbarer werden und für die findige Populisten und Demagogen mehr als bemüht sind, einfache (wenn auch falsche) Lösungen anzubieten: Teuerung ist Konsequenz aus Sanktionen gegen ein kriegstreibendes Russland - doch Teile der Bevölkerung wollen lieber billige Lebensmittel und erklären jene zum Feind, die sie vor dem Aggressor schützen wollen. "Klimakleber" warnen vor der realen Gefahr eines Klimakollaps - doch Teile der Bevölkerung wollen lieber pünktlich mit dem Auto ihr Ziel erreichen und dass ihr Leben weiter in gewohnten Bahnen verläuft. Und inzwischen große Teile der Bevölkerung halten Schutzmaßnahmen vor einem weiterhin gefährlichen Virus für das größere Übel als langfristige, schwere Gesundheitsschäden, wenn nur ihr Leben (scheinbar) wieder so sein darf, wie es immer war: "Burning Days" ist die Folie, die die Prinzipien dieser Mechanismen offenlegt und auf subtile Weise Kritik übt an einer Gesellschaft, einer Zivilisation, einer Menschheit, die naiv und wissentlich unwissend ihr eigenes Schicksal besiegelt.


Fazit: "Burning Days" ist ein sehenswerter, intelligenter und unerwartet komplexer Film, der ein unscheinbares Setting nimmt und daraus zum einen einen spannenden Thriller macht, der rein qualitativ einiges übertrifft, das zuletzt aus Hollywood kam. Und zum anderen eine subtile, tiefgründige Abhandlung über die Wesen von Politik, Populismus und Demagogie, die nur eine Erkenntnis zulässt: Bildung und Aufklärung sind und bleiben die einzigen Wege, den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien.




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Besetzung & Crew von "Burning Days"

Land: Türkei
Jahr: 2022
Genre: Drama
Originaltitel: Kürak Günler
Länge: 129 Minuten
Kinostart: 28.09.2023
Regie: Emin Alper
Darsteller: Ekin Koç als Murat, Selahattin Pasali als Emre, Hatice Aslan, Selin Yeninci als Zeynep, Erdem Senocak als Kemal
Kamera: Christos Karamanis
Verleih: Cinemien

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