Chiara (2021)
A Chiara
Coming-of-Age-Drama, das eine junge Italienerin im Zwiespalt zwischen ihrer kriminellen Familie und einem ehrlichen Leben zeigt.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Die 15-jährige Chiara (Swamy Rotolo) lebt mit ihrer Familie in der kalabrischen Kleinstadt Gioia Tauro. Chiaras ältere Schwester Giulia (Grecia Rotolo) wird 18, was die Familie um Oberhaupt Claudio (Claudio Rotolo) ausgelassen mit Verwandten und engen Bekannten feiert. Am Abend der Feier verlässt Claudio jedoch überhastet das Fest, und in der daran anschließenden Nacht explodiert ein Auto vor dem Haus der Familie. Chiaras Mutter behauptet zwar, der Vater sei geschäftlich unterwegs, doch Chiara glaubt ihr nicht und stellt eigene Nachforschungen an. Nach und nach kommt sie dem Familiengeheimnis auf die Schliche und muss sich entscheiden, wie sie fortan leben will.
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Filmkritik
Als Jonas Carpignano vor sieben Jahren sein Langfilmdebüt vorlegte, konnte keiner, auch er selbst nicht ahnen, dass daraus eine Trilogie erwachsen würde. Auf "Mediterranea" (2015), ein Drama über zwei afrikanische Geflüchtete, die in der süditalienischen Kleinstadt Gioia Tauro stranden, folgte "Pio" (2017), ein Drama über einen Jugendlichen, dessen Roma-Familie vor langer Zeit im selben Ort gestrandet ist. Mit "Chiara", einem Drama über eine Jugendliche, deren mafiöse Familie in Gioia Tauro den Ton angibt, schließt Carpignano seine Kalabrien-Trilogie nun ab. Es ist sein bislang stärkster Film.
Carpignano, 1984 in New York City geboren und zwischen der US-Metropole und Italiens Hauptstadt Rom aufgewachsen, bleibt sich treu. Er dreht Filme zwischen Hoffnung und Ernüchterung. Sein Stil mischt (Neo-)Realismus mit Symbolen. Die raue Wirklichkeit, von Tim Curtins agiler Handkamera unvermittelt und unverstellt eingefangen, trifft auf Bilder, hinter denen eine weitere Ebene steckt. Die Natur und die Elemente, denen die Menschen in Carpignanos Filmen ausgesetzt sind, dienen stets auch als Metaphern. In "Mediterranea" war es das Wasser als Lebensquell und nasses Grab, in "Pio" das Feuer, das Dinge vernichtete und in den Figuren brannte. In "Chiara" ist es nun der Nebel aus Lügen und Geheimnissen, in dem sich die Titelfigur zurechtfinden muss.
Der Realismus wird durch das Casting und Carpignanos Arbeitsweise am Set verstärkt. Wie schon in den zwei Vorgängerfilmen greift der Regisseur und Drehbuchautor erneut auf Laiendarsteller zurück, die mehr oder weniger sich selbst spielen. Alle um die hervorragende Hauptdarstellerin Swamy Rotolo versammelten Familienmitglieder gehören auch im wahren Leben zu Rotolos Familie. Einzig der kriminelle Hintergrund wurde hinzugedichtet. Und bei den Dreharbeiten kannte auch dieses Mal kein Ensemblemitglied das komplette Drehbuch, sondern lediglich die Passagen, die die eigene Figur betreffen. Manche im Film gezeigte Überraschung ist folglich nicht gespielt.
Auch der letzte Film der Kalabrien-Trilogie handelt von Heimat und Heimweh, vom Aufbrechen und Ankommen, von Anerkennung und Ablehnung. Mehr noch als das und als die zwei vorangegangenen Filme handelt er jedoch von Familie. Als "Chiara" völlig unvermittelt einsetzt, schindet die Titelfigur ihren Körper im Fitnessstudio. Wenige Szenen später feiert sie mit ihrer Familie den 18. Geburtstag ihrer älteren Schwester. Ein ausgelassenes Fest, das in aller Ausführlichkeit gezeigt wird und die erste halbe Stunde dieses Films füllt. Dass das Publikum hier keiner gewöhnlichen Familie zusieht, deutet sich bereits an. Vom Glanz und der Gravitas der Familienfeier in Francis Ford Coppolas "Der Pate" (1971) könnte all das jedoch nicht weiter entfernt sein, wie Carpignano überhaupt einen Mafiafilm gedreht hat, der kaum weiter vom Bild entfernt sein könnte, das uns die Populärkultur vom organisierten Verbrechen vermittelt.
Carpignano erzählt von Menschen, die in erster Linie Väter, Mütter, Töchter und Schwestern und erst in zweiter Linie Kriminelle sind. Sie fuchteln weder mit Waffen herum, noch tragen sie ihren illegal erworbenen Reichtum zur Schau. Sie führen ein unauffälliges, ja geradezu langweiliges Leben. Und wenn die Tochter Probleme in der Schule macht, sind sie aufrichtig besorgt. Obwohl sie das Gesetz brechen, stehen sie nicht über dem Gesetz. Statt Gesetzeshütern mit Drohgebärden oder gar Gewalt zu begegnen, nehmen sie lieber vor ihnen Reißaus. "Chiara", das ist ein Mafiafilm voller Pragmatismus, so wie sein Regisseur ihn auf den Straßen von Gioia Tauro beobachtet hat.
Last, but not least ist "Chiara" ein Familienfilm, ein Film über eine Heranwachsende, über ihre Liebe zu ihrem Vater und über dessen grenzenlose Liebe zu ihr – von Claudio und Swamy Rotolo herzzerreißend gespielt. Besonders Letztgenannte brennt sich mit ihren stechenden Augen, mit einem neugierigen, zweifelnden und doch stets hoffnungsvollen Blick ins Gedächtnis ein. Ins Fitnessstudio geht ihre Figur am Ende noch immer und auf die Tartanbahn im Leichtathletik-Stadion. Typisch für Carpignanos Filmtrilogie bleibt auch sie bis zuletzt immer in Bewegung – und hat sich freigelaufen.
Fazit: Nach "Mediterranea" und "Pio" nimmt Jonas Carpignano in "Chiara" eine dritte Gesellschaftsgruppe der süditalienischen Kleinstadt Gioia Tauro in den Blick: Auf die Geflüchteten und die Roma folgen Mitglieder der ’Ndrangheta, der kalabrischen Mafia, womit der Regisseur und Drehbuchautor seine Kalabrien-Trilogie abschließt. Auch der Abschluss besticht durch facettenreiche Charaktere, präzise Beobachtungen und eine Hauptdarstellerin, die das Publikum in ihren Bann zieht. Ein Mafiafilm, der gleichzeitig Familienfilm ist, in einer unverwechselbaren Mischung aus Realismus und metaphorischer Überhöhung dargeboten.
Carpignano, 1984 in New York City geboren und zwischen der US-Metropole und Italiens Hauptstadt Rom aufgewachsen, bleibt sich treu. Er dreht Filme zwischen Hoffnung und Ernüchterung. Sein Stil mischt (Neo-)Realismus mit Symbolen. Die raue Wirklichkeit, von Tim Curtins agiler Handkamera unvermittelt und unverstellt eingefangen, trifft auf Bilder, hinter denen eine weitere Ebene steckt. Die Natur und die Elemente, denen die Menschen in Carpignanos Filmen ausgesetzt sind, dienen stets auch als Metaphern. In "Mediterranea" war es das Wasser als Lebensquell und nasses Grab, in "Pio" das Feuer, das Dinge vernichtete und in den Figuren brannte. In "Chiara" ist es nun der Nebel aus Lügen und Geheimnissen, in dem sich die Titelfigur zurechtfinden muss.
Der Realismus wird durch das Casting und Carpignanos Arbeitsweise am Set verstärkt. Wie schon in den zwei Vorgängerfilmen greift der Regisseur und Drehbuchautor erneut auf Laiendarsteller zurück, die mehr oder weniger sich selbst spielen. Alle um die hervorragende Hauptdarstellerin Swamy Rotolo versammelten Familienmitglieder gehören auch im wahren Leben zu Rotolos Familie. Einzig der kriminelle Hintergrund wurde hinzugedichtet. Und bei den Dreharbeiten kannte auch dieses Mal kein Ensemblemitglied das komplette Drehbuch, sondern lediglich die Passagen, die die eigene Figur betreffen. Manche im Film gezeigte Überraschung ist folglich nicht gespielt.
Auch der letzte Film der Kalabrien-Trilogie handelt von Heimat und Heimweh, vom Aufbrechen und Ankommen, von Anerkennung und Ablehnung. Mehr noch als das und als die zwei vorangegangenen Filme handelt er jedoch von Familie. Als "Chiara" völlig unvermittelt einsetzt, schindet die Titelfigur ihren Körper im Fitnessstudio. Wenige Szenen später feiert sie mit ihrer Familie den 18. Geburtstag ihrer älteren Schwester. Ein ausgelassenes Fest, das in aller Ausführlichkeit gezeigt wird und die erste halbe Stunde dieses Films füllt. Dass das Publikum hier keiner gewöhnlichen Familie zusieht, deutet sich bereits an. Vom Glanz und der Gravitas der Familienfeier in Francis Ford Coppolas "Der Pate" (1971) könnte all das jedoch nicht weiter entfernt sein, wie Carpignano überhaupt einen Mafiafilm gedreht hat, der kaum weiter vom Bild entfernt sein könnte, das uns die Populärkultur vom organisierten Verbrechen vermittelt.
Carpignano erzählt von Menschen, die in erster Linie Väter, Mütter, Töchter und Schwestern und erst in zweiter Linie Kriminelle sind. Sie fuchteln weder mit Waffen herum, noch tragen sie ihren illegal erworbenen Reichtum zur Schau. Sie führen ein unauffälliges, ja geradezu langweiliges Leben. Und wenn die Tochter Probleme in der Schule macht, sind sie aufrichtig besorgt. Obwohl sie das Gesetz brechen, stehen sie nicht über dem Gesetz. Statt Gesetzeshütern mit Drohgebärden oder gar Gewalt zu begegnen, nehmen sie lieber vor ihnen Reißaus. "Chiara", das ist ein Mafiafilm voller Pragmatismus, so wie sein Regisseur ihn auf den Straßen von Gioia Tauro beobachtet hat.
Last, but not least ist "Chiara" ein Familienfilm, ein Film über eine Heranwachsende, über ihre Liebe zu ihrem Vater und über dessen grenzenlose Liebe zu ihr – von Claudio und Swamy Rotolo herzzerreißend gespielt. Besonders Letztgenannte brennt sich mit ihren stechenden Augen, mit einem neugierigen, zweifelnden und doch stets hoffnungsvollen Blick ins Gedächtnis ein. Ins Fitnessstudio geht ihre Figur am Ende noch immer und auf die Tartanbahn im Leichtathletik-Stadion. Typisch für Carpignanos Filmtrilogie bleibt auch sie bis zuletzt immer in Bewegung – und hat sich freigelaufen.
Fazit: Nach "Mediterranea" und "Pio" nimmt Jonas Carpignano in "Chiara" eine dritte Gesellschaftsgruppe der süditalienischen Kleinstadt Gioia Tauro in den Blick: Auf die Geflüchteten und die Roma folgen Mitglieder der ’Ndrangheta, der kalabrischen Mafia, womit der Regisseur und Drehbuchautor seine Kalabrien-Trilogie abschließt. Auch der Abschluss besticht durch facettenreiche Charaktere, präzise Beobachtungen und eine Hauptdarstellerin, die das Publikum in ihren Bann zieht. Ein Mafiafilm, der gleichzeitig Familienfilm ist, in einer unverwechselbaren Mischung aus Realismus und metaphorischer Überhöhung dargeboten.
Falk Straub
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Besetzung & Crew von "Chiara"
Land: ItalienJahr: 2021
Genre: Drama
Originaltitel: A Chiara
Länge: 122 Minuten
Kinostart: 23.06.2022
Regie: Jonas Carpignano
Darsteller: Swamy Rotolo als Chiara, Claudio Rotolo als Claudio, Grecia Rotolo als Giulia, Antonio Rotolo Uno, Carmela Fumo
Kamera: Tim Curtin
Verleih: DCM GmbH, MUBI
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