Holy Spider (2022)
Iranisches Thriller-Drama: Ali Abbasis neuer Film ist eine Gratwanderung zwischen Genre- und Programmkino und beruht auf wahren Verbrechen.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Maschad Anfang des neuen Jahrtausends: In der heiligen Stadt im Nordosten Irans geht ein Serienmörder um. Tagsüber arbeitet der dreifache Familienvater Saeed (Mehdi Bajestani) auf dem Bau, nachts macht er auf seinem Motorrad Jagd auf Prostituierte. Wenn seine Frau Fatima (Forouzan Jamshidnejad) und die Kinder nicht zu Hause sind, nimmt er die Frauen mit in seine Wohnung, erwürgt sie mit ihrem eigenen Kopftuch, wickelt sie in einen Tschador und legt sie irgendwo am Straßenrand ab. Die Behörden tappen im Dunkeln, bis die Journalistin Rahimi (Zar Amir-Ebrahimi) die Szenerie betritt.
Rahimi ist für ihre Recherche eigens aus Teheran angereist. Gemeinsam mit dem ortsansässigen Kollegen Sharifi (Arash Ashtiani) fühlt sie der Polizei und den religiösen Führern auf den Zahn. Nach und nach kommt sie Saeed auf die Schliche, begibt sich dabei aber selbst in Lebensgefahr. Und dann ist da noch ein viel größeres Problem. Was, wenn der Frauenmörder, der von Teilen der Bevölkerung wie ein Held verehrt wird, überhaupt nicht verurteilt wird?
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Filmkritik
Der aus dem Iran stammende und in Dänemark lebende Regisseur Ali Abbasi ist ein filmischer Grenzgänger. Seine tief im Genrekino verwurzelten Werke heben sich durch ihre Eigenwilligkeit so sehr vom Massengeschmack ab, dass sie auch immer als anspruchsvolles Programmkino durchgehen. Da verwundert es wenig, dass Abbasi mit seinen Filmen auf den unterschiedlichsten Festivals zu Gast ist.
Abbasis Langfilmdebüt "Shelley" (2016) verpasste dem okkultistischen Horrorfilm einen dringend nötigen Neuanstrich (und kann auch als übersinnliches Ehedrama begriffen werden). Im Anschluss daran legte er mit "Border" (2018) einen mitunter außerweltlich anmutenden Mix aus Fantasyfilm, Romanze, Krimi und Sozialdrama vor, der es bis nach Cannes schaffte und dort den Hauptpreis in der Sektion "Un Certain Regard" gewann. In Cannes lief nun auch sein jüngster Film "Holy Spider", diesmal sogar im Wettbewerb um die Goldene Palme, mit der es zwar nichts wurde. Dafür nahm Hauptdarstellerin Zar Amir-Ebrahimi den Preis für die beste Schauspielerin von der Croisette mit nach Hause.
Mit "Holy Spider" trifft der 1981 geborene Regisseur einen Nerv. Die Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, von Abbasi und seinem Co-Drehbuchautor Afshin Kamran Bahrami an den entscheidenden Stellen allerdings klug verändert wurde, ist mehr als zwanzig Jahre alt und doch hochaktuell. Es geht um einen Frauenmörder, dessen Taten nur auf den ersten Blick individuell motiviert und religiös verblendet erscheinen. Blickt man mit der weiblichen Hauptfigur, der von Amir-Ebrahimi einnehmend gespielten Journalistin Rahimi, tiefer, stößt man alsbald auf ein gesamtgesellschaftliches Problem, das bis in die Gegenwart fortbesteht. Die Proteste im Anschluss an den Tod der Studentin Mahsa Amini, die bis heute andauern, sind nur der neueste Ausschlag der Erregung über ein zutiefst frauenfeindliches System.
Im Iran filmen durfte Abbasi dementsprechend nicht. Stattdessen wurden Drehorte in Jordanien gefunden, die die heilige Stadt Maschad doubeln. Hier gleitet Nadim Carlsens Kamera ästhetisch durch die Nacht, von Martin Dirkovs dunkel dräuender, beängstigender und beklemmender Musik vorangetrieben, bevor der von Mehdi Bajestani kraftvoll und wuchtig gespielte Saeed dem Kinopublikum gefühlte Schläge in die Magengrube versetzt. In seiner expliziten Darstellung der Morde ist "Holy Spider" nichts für schwache Nerven und trotzdem kein klassischer Serienmörderfilm. Denn Ali Abbasi macht einiges anders.
Wer die Morde begeht, ist von vornherein klar. Das Kinopublikum rätselt somit nicht über die (wahre) Identität oder den Aufenthaltsort des Killers wie in "Das Schweigen der Lämmer" (1991), "Sieben" (1995) oder anderen Klassikern des Subgenres. Auch geht es Abbasi nicht darum, den Täter, der als harter Arbeiter und liebender Familienvater dargestellt wird, zu verharmlosen oder gar Sympathien für ihn zu wecken. Es geht darum, die Mechanismen aufzuzeigen, die einen auf den ersten Blick rechtschaffenen Mann zu solch grausamen Taten bringen.
"Holy Spider" stellt die Frage, wie sich das Verhältnis von Männern zu Frauen verändert, wenn deren Körper über Jahrzehnte hinweg durch Verhüllung entmenschlicht werden. Die Antwort bleibt im Film zwar unausgesprochen, ist jedoch für alle Augen ersichtlich. Keine der im Film gezeigten Prostituierten, die nicht mit blauen Flecken übersät ist. Es sind diese kleinen, unscheinbaren Details, die diesen Film großartig machen. Ein düsteres, dabei aber keineswegs pessimistisches Werk, das lange nachhallt.
Fazit: Ali Abbasis "Holy Spider" ist ein Serienmörderfilm der etwas anderen Art. Erzählerisch gegen den Strich gebürstet, souverän inszeniert und von den beiden Hauptdarstellern herausragend gespielt, ist dem Regisseur die perfekte Gratwanderung zwischen Genre- und Programmkino geglückt. Ein Film, der wichtige Fragen stellt und damit einen Nerv trifft.
Abbasis Langfilmdebüt "Shelley" (2016) verpasste dem okkultistischen Horrorfilm einen dringend nötigen Neuanstrich (und kann auch als übersinnliches Ehedrama begriffen werden). Im Anschluss daran legte er mit "Border" (2018) einen mitunter außerweltlich anmutenden Mix aus Fantasyfilm, Romanze, Krimi und Sozialdrama vor, der es bis nach Cannes schaffte und dort den Hauptpreis in der Sektion "Un Certain Regard" gewann. In Cannes lief nun auch sein jüngster Film "Holy Spider", diesmal sogar im Wettbewerb um die Goldene Palme, mit der es zwar nichts wurde. Dafür nahm Hauptdarstellerin Zar Amir-Ebrahimi den Preis für die beste Schauspielerin von der Croisette mit nach Hause.
Mit "Holy Spider" trifft der 1981 geborene Regisseur einen Nerv. Die Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, von Abbasi und seinem Co-Drehbuchautor Afshin Kamran Bahrami an den entscheidenden Stellen allerdings klug verändert wurde, ist mehr als zwanzig Jahre alt und doch hochaktuell. Es geht um einen Frauenmörder, dessen Taten nur auf den ersten Blick individuell motiviert und religiös verblendet erscheinen. Blickt man mit der weiblichen Hauptfigur, der von Amir-Ebrahimi einnehmend gespielten Journalistin Rahimi, tiefer, stößt man alsbald auf ein gesamtgesellschaftliches Problem, das bis in die Gegenwart fortbesteht. Die Proteste im Anschluss an den Tod der Studentin Mahsa Amini, die bis heute andauern, sind nur der neueste Ausschlag der Erregung über ein zutiefst frauenfeindliches System.
Im Iran filmen durfte Abbasi dementsprechend nicht. Stattdessen wurden Drehorte in Jordanien gefunden, die die heilige Stadt Maschad doubeln. Hier gleitet Nadim Carlsens Kamera ästhetisch durch die Nacht, von Martin Dirkovs dunkel dräuender, beängstigender und beklemmender Musik vorangetrieben, bevor der von Mehdi Bajestani kraftvoll und wuchtig gespielte Saeed dem Kinopublikum gefühlte Schläge in die Magengrube versetzt. In seiner expliziten Darstellung der Morde ist "Holy Spider" nichts für schwache Nerven und trotzdem kein klassischer Serienmörderfilm. Denn Ali Abbasi macht einiges anders.
Wer die Morde begeht, ist von vornherein klar. Das Kinopublikum rätselt somit nicht über die (wahre) Identität oder den Aufenthaltsort des Killers wie in "Das Schweigen der Lämmer" (1991), "Sieben" (1995) oder anderen Klassikern des Subgenres. Auch geht es Abbasi nicht darum, den Täter, der als harter Arbeiter und liebender Familienvater dargestellt wird, zu verharmlosen oder gar Sympathien für ihn zu wecken. Es geht darum, die Mechanismen aufzuzeigen, die einen auf den ersten Blick rechtschaffenen Mann zu solch grausamen Taten bringen.
"Holy Spider" stellt die Frage, wie sich das Verhältnis von Männern zu Frauen verändert, wenn deren Körper über Jahrzehnte hinweg durch Verhüllung entmenschlicht werden. Die Antwort bleibt im Film zwar unausgesprochen, ist jedoch für alle Augen ersichtlich. Keine der im Film gezeigten Prostituierten, die nicht mit blauen Flecken übersät ist. Es sind diese kleinen, unscheinbaren Details, die diesen Film großartig machen. Ein düsteres, dabei aber keineswegs pessimistisches Werk, das lange nachhallt.
Fazit: Ali Abbasis "Holy Spider" ist ein Serienmörderfilm der etwas anderen Art. Erzählerisch gegen den Strich gebürstet, souverän inszeniert und von den beiden Hauptdarstellern herausragend gespielt, ist dem Regisseur die perfekte Gratwanderung zwischen Genre- und Programmkino geglückt. Ein Film, der wichtige Fragen stellt und damit einen Nerv trifft.
Falk Straub
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Besetzung & Crew von "Holy Spider"
Land: Dänemark, Deutschland, Frankreich, SchwedenJahr: 2022
Genre: Thriller, Drama, Krimi
Länge: 119 Minuten
FSK: 16
Kinostart: 12.01.2023
Regie: Ali Abbasi
Darsteller: Mehdi Bajestani als Saeed, Zahra Amir Ebrahimi als Rahimi, Arash Ashtiani als Sharifi, Forouzan Jamshidnejad als Fatima, Sina Parvaneh als Rostami
Kamera: Nadim Carlsen
Verleih: Alamode Film
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