FBW-Bewertung: Everything will change (2021)
Prädikat wertvoll
Jurybegründung: Klimaschutz, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Deep-Fakes? Agendaworte, die seit einigen Jahren unseren Wortschatz bereichern und in ihren Auswirkungen unser Zusammenleben verändern und unsere Umwelt belasten.Vielleicht sieht unsere Zukunft tatsächlich so aus, dass wir in unseren Behausungen leben, fast alle Arbeiten am Computer tätigen, immer seltener ein Motiv haben, hinaus zu gehen und über so viel digitale Abhängigkeit vergessen, dass es auch eine fragile Umwelt gibt. EVERYTHING WILL CHANGE folgt den Protagonisten Fini, Ben und Cherry, die sich eigentlich ganz gut in einer solchen Welt eingerichtet haben. Was nicht am Bildschirm zu erleben ist, das gibt es nicht. Als sie auf die Abbildung einer Giraffe stoßen, einem Tier, von dem sie noch nie gehört haben, begeben sie sich auf eine Spurensuche. Marten Persiels Dystopie einer Welt in 32 Jahren zeichnet das düstere Bild einer Gesellschaft, der alles egal scheint. Das Bittere daran ? und genau das zeigt der Film: Diese Gesellschaft existiert schon heute.
Ohne Zweifel ist EVERYTHING WILL CHANGE ein Agitationsfilm, ein Film, der wachrütteln will, in dem er verlorene Paradiese präsentiert. Und so machen sich die Protagonisten im Jahr 2054 auf und entdecken nach und nach eine ungeahnte Biodiversität. Wie zuvor, in THIS AIN?T CALIFORNIA, verquickt Persiel Spielfilm und Dokumentation, macht dies aber diesmal deutlicher kenntlich. In kurzen Filmsequenzen aus augenscheinlich bekannten Tierdokus der vergangenen 50 Jahre lässt er für Fini, Ben und Cherry Tiere auferstehen, die sie nie kennen gelernt haben, weil diese Lebewesen aus dem medialen Blickfeld verschwunden sind. Tatsächlich, und das ist Persiels Kunstgriff, erscheint unsere Gegenwart vor diesem Hintergrund als ein paradiesischer Ort. Gleichzeitig betont der Film, dass auch wir, also das Publikum der 2020er Jahre, schon die Augen vor dem Artensterben verschlossen haben.
Faktische Unterstützung erhalten die dokumentarischen Einspielungen durch Aussagen von Personen unserer Zeit, mehrheitlich Wissenschaftler*innen, aber auch Künstler*innen, unter anderem Wim Wenders, die Statements zum Verhältnis Mensch und Umwelt abgeben. Die Jury wendet ein wenig kritisch ein, dass im Film zwar Fini, Ben und Cherry aufgefordert werden, die Echtheit aller Berichte zu verifizieren, eine Überprüfung der Einspielungen ist für das Filmpublikum dagegen nicht möglich, weil die Identitäten der Personen nicht eingeblendet werden. Auch die Faktenfülle schien der Jury ein wenig zu mächtig, als dass sie in diesem Hybridfilm komplett verständlich hätte untergebracht werden können.
Die landschaftliche Darstellung der Welt des Jahres 2054 als Falschfarben-(Infrarot)-Film wirkt hochästhetisch, verdeutlicht aber gleichzeitig auch das geringe Budget der Produktion. In der Diskussion wurde dieser Effekt dementsprechend kontrovers gewertet. Die Farbverfälschung mag einerseits als Indiz der Erderwärmung verstanden werden, wirkt aber auch simpel und nahezu befremdend. Anderseits aber, so die Jury, hat Persiel bewusst auf erdachte Zukunfts-Gimmicks verzichtet, die noch viel deutlicher zur Unglaubwürdigkeit einer Vision der Zukunft beigetragen hätten. Dass schlussendlich ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT zitiert wird, ist zwar zum Schmunzeln schön, fällt aber vermutlich nicht allen Zuschauern auf.
EVERYTHING WILL CHANGE folgt einer schönen Idee, leidet aber, so die Jury, ein wenig unter seinem sehr geringen Budget. Dennoch ist ein interessanter Film entstanden, der Mut zum Handeln macht, gegen die Gleichgültigkeit für den Erhalt der Biodiversität. Nach ausgiebiger Diskussion und unter Abwägung aller in der Diskussion genannten Argumente möchte die Jury dem Film daher gerne das Prädikat ?wertvoll? verleihen.
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)