Der schlimmste Mensch der Welt (2021)
Verdens verste menneske
Immer auf dem Sprung: Tragikomödie über eine unstete Frau, die jenseits der 30 endlich im Leben ankommt.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben insgesamt 3 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Julie (Renate Reinsve) ist immer auf dem Sprung, weil sie nicht weiß, was sie vom Leben will. Medizin studiert sie nur, weil ihre ausgezeichneten Schulnoten zum ersten Mal in ihrem Leben zu etwas nütze waren. Sie studiert es allerdings nicht lange, wechselt erst zur Psychologie, dann zur Fotografie und von Mann zu Mann, bis sie schließlich beim mehr als zehn Jahre älteren Comiczeichner Aksel (Anders Danielsen Lie) landet und eine Weile bleibt.
Während Aksel fleißig Comics zeichnet, jobbt Julie in einer Buchhandlung. Aksel will Kinder, Julie fühlt sich zu jung dafür – und fängt eine Affäre mit Zufallsbekanntschaft Eivind (Herbert Nordrum) an. Aus der Affäre wird mehr. Julie zieht bei Aksel aus und bei Eivind ein. Bei ihm kann sie endlich sie selbst sein. Doch als die Schmetterlinge im Bauch verflogen sind, kommen Julie abermals Zweifel.
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Filmkritik
Für Joachim Trier und seinen Kompagnon Eskil Vogt war es ein weiter Weg. 15 Jahre und drei weitere Spielfilme liegen zwischen Triers Langfilmdebüt "Auf Anfang" (2006) und "Der schlimmste Mensch der Welt" (2021). Bei jedem dieser Filme war Vogt, der inzwischen selbst ein gefeierter Regisseur ist, jüngst etwa mit dem atmosphärisch dichten Kinderhorror "The Innocents" (2021) reüssierte, am Drehbuch beteiligt. Wie die Hauptfigur aus ihrer jüngsten Zusammenarbeit scheinen inzwischen auch Trier und Vogt angekommen.
"Der schlimmste Mensch der Welt" wirkt in vielerlei Hinsicht wie eine Wiederaufnahme und Fortführung des Debüts "Auf Anfang" (das im Original bezeichnenderweise "Reprise" heißt), nur unter geänderten Vorzeichen. "Auf Anfang" handelte von der Freundschaft zweier aufstrebender Schriftsteller (was durchaus als Spiegelung der zwei schreibenden Filmemacher Trier und Vogt verstanden werden kann) und spielte Handlungsverläufe mit unterschiedlichem Ausgang durch. In "Der schlimmste Mensch der Welt" machen Trier und Vogt nun etwas ganz Ähnliches mit dem Leben einer jungen Frau. Herausgekommen ist ihr bis dato bestes Werk, zweifach oscarnominiert und mit einem Preis in Cannes bedacht.
"Auf Anfang" war ein beeindruckendes Debüt, in seiner formalen und narrativen Verspieltheit aber auch immer ein wenig unreif und unfertig wie seine zwei Protagonisten, die ihren Weg im Leben erst noch finden mussten. Den sucht zwar auch die Hauptfigur in "Der schlimmste Mensch der Welt". Trier setzt seine Spielereien diesmal jedoch äußerst dosiert ein, was deren Wirkung potenziert. Gleich zu Beginn rafft er Julies Unentschlossenheit in einem meisterhaft montierten Prolog zusammen. Danach schreitet er ihr Leben in zwölf Kapiteln ab; manche davon sind lang, andere nur wenige Minuten kurz. Die Erzählform spiegelt Julies Sprunghaftigkeit. Als sie glaubt, ihre wahre Liebe gefunden zu haben, knipst sie ihr Leben buchstäblich an und alles um sie herum steht still. Eine fabelhafte Sequenz in einem Film, dem es immer wieder gelingt, Gefühle nicht zu zerreden, sondern in kongeniale Bilder zu übersetzen.
Überhaupt die Emotionen! Sie sind die große Stärke dieses Films; ungeschminkt und ehrlich. Beziehungskisten sind nun mal kompliziert und nicht so simpel, wie romantische Komödien uns vorgaukeln. Trier und Vogt finden für all die widerstreitenden Gefühle einer Paarbeziehung in ihrem Drehbuch stets die passende Situation. Wunderschön etwa die Sequenz, in der Julie sich gelangweilt von einer Vernissage verabschiedet, auf dem Heimweg auf einer Hochzeitsgesellschaft einschleicht und eine Nacht lang flirtet, ohne fremdzugehen. Hier kommt alles zusammen: die Abnutzungserscheinung einer langjährigen Partnerschaft und der Reiz des Neuen, das Begehren und die Treue, Romantik und Erotik. Herrlich einfach, einfach herrlich!
Hauptdarstellerin Renate Reinsve ist ein Ereignis. Eigentlich wollte sie die Schauspielerei bereits an den Nagel hängen. Dass sie hier nun ihre erste Hauptrolle in einem Kinofilm spielen darf, ist ein Geschenk. Reinsve zieht alle Register und wirkt doch stets natürlich. Bei den Filmfestspielen in Cannes nahm sie dafür im vergangenen Jahr den Preis als beste Schauspielerin mit nach Hause. An ihrer Seite beeindrucken Herbert Nordrum und Anders Danielsen Lie, dessen Figur als (junger) Vertreter der Generation X für die Generation von Trier und Vogt (beide Jahrgang 1974) steht. Aksel steht mit dem Digitalen zwar nicht auf Kriegsfuß, hängt aber sehr am Analogen. Auch sein Männer- und Frauenbild muss er überdenken. Einer, der im Gegensatz zu Julie zwar noch wusste, wo er im Leben hinwill, mit dem Tempo, in dem sich die Welt verändert, aber nicht mehr zurechtkommt.
Überhaupt die Zeit! Eine simple, in Liebesfilmen aber leider allzu selten ausgesprochene Erkenntnis lautet: Zum Leben gehört mehr als die eine große Liebe. Ein Leben, das ist auch die Summe all der Lieben, die man entlang des Weges sammelt. Aksel ist für Julie vielleicht der Richtige, kommt aber zur falschen Zeit. Zwischenmenschlich passt's perfekt, doch die Lebensphasen, in denen sie sich befinden, passen nicht zueinander. Und Eivind ist letztlich der Falsche, er kommt aber gerade recht. Auch das gehört zum Leben und zur Liebe dazu, diese Umstände zu akzeptieren und aus ihnen zu lernen (was uns von romantischen Komödien in der Regel vorenthalten wird).
"Der schlimmste Mensch der Welt" ist ein fulminantes Generationenporträt, ein "Annie Hall" (1977; dt. Titel: "Der Stadtneurotiker") für Millennials aus umgekehrter Perspektive. Denn diesmal erzählt die Stadtneurotikerin ihre Sicht der Dinge. Und diesem schlimmsten Menschen der Welt hört und sieht man ausgesprochen gerne zu.
Fazit: Regisseur Joachim Trier und sein Co-Autor Eskil Vogt sind ein eingespieltes Team. Ihre numehr fünfte Zusammenarbeit ist ihre bis dato beste. "Der schlimmste Mensch der Welt" ist ein fulminantes Generationenporträt; umwerfend gespielt und kongenial inszeniert, offen und ehrlich. Ein Liebesfilm für alle, die vom Leben mehr als nur zuckersüße romantische Komödien erwarten.
"Der schlimmste Mensch der Welt" wirkt in vielerlei Hinsicht wie eine Wiederaufnahme und Fortführung des Debüts "Auf Anfang" (das im Original bezeichnenderweise "Reprise" heißt), nur unter geänderten Vorzeichen. "Auf Anfang" handelte von der Freundschaft zweier aufstrebender Schriftsteller (was durchaus als Spiegelung der zwei schreibenden Filmemacher Trier und Vogt verstanden werden kann) und spielte Handlungsverläufe mit unterschiedlichem Ausgang durch. In "Der schlimmste Mensch der Welt" machen Trier und Vogt nun etwas ganz Ähnliches mit dem Leben einer jungen Frau. Herausgekommen ist ihr bis dato bestes Werk, zweifach oscarnominiert und mit einem Preis in Cannes bedacht.
"Auf Anfang" war ein beeindruckendes Debüt, in seiner formalen und narrativen Verspieltheit aber auch immer ein wenig unreif und unfertig wie seine zwei Protagonisten, die ihren Weg im Leben erst noch finden mussten. Den sucht zwar auch die Hauptfigur in "Der schlimmste Mensch der Welt". Trier setzt seine Spielereien diesmal jedoch äußerst dosiert ein, was deren Wirkung potenziert. Gleich zu Beginn rafft er Julies Unentschlossenheit in einem meisterhaft montierten Prolog zusammen. Danach schreitet er ihr Leben in zwölf Kapiteln ab; manche davon sind lang, andere nur wenige Minuten kurz. Die Erzählform spiegelt Julies Sprunghaftigkeit. Als sie glaubt, ihre wahre Liebe gefunden zu haben, knipst sie ihr Leben buchstäblich an und alles um sie herum steht still. Eine fabelhafte Sequenz in einem Film, dem es immer wieder gelingt, Gefühle nicht zu zerreden, sondern in kongeniale Bilder zu übersetzen.
Überhaupt die Emotionen! Sie sind die große Stärke dieses Films; ungeschminkt und ehrlich. Beziehungskisten sind nun mal kompliziert und nicht so simpel, wie romantische Komödien uns vorgaukeln. Trier und Vogt finden für all die widerstreitenden Gefühle einer Paarbeziehung in ihrem Drehbuch stets die passende Situation. Wunderschön etwa die Sequenz, in der Julie sich gelangweilt von einer Vernissage verabschiedet, auf dem Heimweg auf einer Hochzeitsgesellschaft einschleicht und eine Nacht lang flirtet, ohne fremdzugehen. Hier kommt alles zusammen: die Abnutzungserscheinung einer langjährigen Partnerschaft und der Reiz des Neuen, das Begehren und die Treue, Romantik und Erotik. Herrlich einfach, einfach herrlich!
Hauptdarstellerin Renate Reinsve ist ein Ereignis. Eigentlich wollte sie die Schauspielerei bereits an den Nagel hängen. Dass sie hier nun ihre erste Hauptrolle in einem Kinofilm spielen darf, ist ein Geschenk. Reinsve zieht alle Register und wirkt doch stets natürlich. Bei den Filmfestspielen in Cannes nahm sie dafür im vergangenen Jahr den Preis als beste Schauspielerin mit nach Hause. An ihrer Seite beeindrucken Herbert Nordrum und Anders Danielsen Lie, dessen Figur als (junger) Vertreter der Generation X für die Generation von Trier und Vogt (beide Jahrgang 1974) steht. Aksel steht mit dem Digitalen zwar nicht auf Kriegsfuß, hängt aber sehr am Analogen. Auch sein Männer- und Frauenbild muss er überdenken. Einer, der im Gegensatz zu Julie zwar noch wusste, wo er im Leben hinwill, mit dem Tempo, in dem sich die Welt verändert, aber nicht mehr zurechtkommt.
Überhaupt die Zeit! Eine simple, in Liebesfilmen aber leider allzu selten ausgesprochene Erkenntnis lautet: Zum Leben gehört mehr als die eine große Liebe. Ein Leben, das ist auch die Summe all der Lieben, die man entlang des Weges sammelt. Aksel ist für Julie vielleicht der Richtige, kommt aber zur falschen Zeit. Zwischenmenschlich passt's perfekt, doch die Lebensphasen, in denen sie sich befinden, passen nicht zueinander. Und Eivind ist letztlich der Falsche, er kommt aber gerade recht. Auch das gehört zum Leben und zur Liebe dazu, diese Umstände zu akzeptieren und aus ihnen zu lernen (was uns von romantischen Komödien in der Regel vorenthalten wird).
"Der schlimmste Mensch der Welt" ist ein fulminantes Generationenporträt, ein "Annie Hall" (1977; dt. Titel: "Der Stadtneurotiker") für Millennials aus umgekehrter Perspektive. Denn diesmal erzählt die Stadtneurotikerin ihre Sicht der Dinge. Und diesem schlimmsten Menschen der Welt hört und sieht man ausgesprochen gerne zu.
Fazit: Regisseur Joachim Trier und sein Co-Autor Eskil Vogt sind ein eingespieltes Team. Ihre numehr fünfte Zusammenarbeit ist ihre bis dato beste. "Der schlimmste Mensch der Welt" ist ein fulminantes Generationenporträt; umwerfend gespielt und kongenial inszeniert, offen und ehrlich. Ein Liebesfilm für alle, die vom Leben mehr als nur zuckersüße romantische Komödien erwarten.
Falk Straub
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Besetzung & Crew von "Der schlimmste Mensch der Welt"
Land: Norwegen, Frankreich, Dänemark, SchwedenJahr: 2021
Genre: Drama, Komödie
Originaltitel: Verdens verste menneske
Länge: 121 Minuten
FSK: 12
Kinostart: 02.06.2022
Regie: Joachim Trier
Darsteller: Renate Reinsve als Julie, Anders Danielsen Lie als Aksel, Herbert Nordrum als Eivind, Maria Grazia Di Meo als Sunniva, Mia McGovern Zaini als Eva (Stimme)
Kamera: Kasper Tuxen
Verleih: Koch Media, Studiocanal
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