FBW-Bewertung: Cicero - zwei Leben, eine Bühne (2022)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Die Jazzszene von Deutschland hat nur wenige Stars, und zwei davon sind Vater und Sohn. Kai Wessel, Katharina Rinderle und Tina Freitag ist mit CICERO ein berührendes Doppelkünstlerporträt von Eugen und Roger Cicero gelungen. Eugen Cicero war in den 1960er Jahren ein sehr erfolgreicher Jazzpianist, Roger wurde als Sänger in den frühen 2000er Jahren dadurch bekannt, dass er Swingmusik mit deutschen Texten interpretierte. Dem Film gelingt eine Balance zwischen den beiden Lebensgeschichten, obwohl er bei Eugen auf Archiv- und Privataufnahmen zurückgreifen musste, während er bei Roger mit eigenem Material arbeiten konnte, das schon Jahre vor dessen frühen Tod etwa bei Studioaufnahmen oder Konzerten gedreht wurde. Zudem wurden über 50 Zeitzeugen befragt, darunter der Trompeter Till Brönner und der Schlagzeuger Charly Antolini. Bei deren Erinnerungen an die beiden Jazzer mag es einige Redundanzen geben und ein paar Schnitte hätten dem fast zwei Stunden langen Film sicher nicht geschadet. Aber dieser Raum, den der Film den Interviewten gibt, ermöglicht es, dass en passant hier auch eine Kulturgeschichte des deutschen Jazz zwischen den 1960er und den 2010er Jahren gezeigt wird. Da wird davon erzählt, unter welchen Bedingungen Jazzmusik produziert wurde, wie sie sich verkaufte und welche Kompromisse eingegangen wurden, um viel Geld mit der Musik zu verdienen. Denn es gibt verblüffende Parallelen zwischen den beiden Künstlerbiografien: Sowohl Eugen wie auch Roger Cicero hörten auf, Jazzmusik zu machen, weil sie glaubten, nur so wirklich erfolgreich werden zu können. Bei Eugen war dies eine Fehlkalkulation: Er spielte als Pianist der Paul-Kuhn-Bigband bei Galas und Fernsehauftritten statt sich auf seine mögliche Weltkarriere (wie einer seiner Mitspieler aus jener Zeit sagt) zu konzentrieren. Roger hatte dagegen mit seinem verdeutschten Big-Band-Swing, der eine Idee seiner Manager und Produzenten war, großen Erfolg. Aber später kehrte auch er zurück zum kommerziell eher unergiebigen Jazz. Wessel hat als erfahrener Spielfilmregisseur mit viel Sorgfalt an der Dramaturgie gearbeitet, und so sind etwa die Übergängen zwischen den beiden Biografien sehr einfallsreich gesetzt. Da wird etwa einmal von einem ?Happy Birthday? in den 1970er Jahren zum anderen etwa 40 Jahre später geschnitten. Und wenn vom Tod der beiden Künstler erzählt wird, hat Wessel den Mut, mit dem langen Schweigen und den Gesten der Trauer ihrer Freunde zu arbeiten. Der Film lässt der Musik der beiden mit langen Einstellungen von ihren Auftritten genügend Zeit, um einen Eindruck davon zu vermitteln, dass sie tatsächlich Ausnahmekünstler waren. So wird der Film sowohl Eugen als auch Roger Cicero gerecht, denn durch ihn können sie von vielen Jazzliebhabern wiederentdeckt werden.Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)