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FBW-Bewertung: Heil dich doch selbst (2021)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Die seit ihrer Kindheit an Epilepsie leidende Regisseurin Yasmin C. Rams trifft eine drastische Entscheidung: Sie will die Medikamente, die ihre Leber schädigen, absetzen und nach alternativen Heilmitteln suchen. Sie tut dies gegen den Willen ihres Vaters, der selbst an Parkinson erkrankt ist und alternative Medizin für Quacksalberei hält. Ausgestattet mit ihrer Kamera trifft sie Ärzt*innen, Heilpraktiker*innen und vor allem Betroffene, die mit unterschiedlichen Mitteln und Methoden versuchen, Krankheiten zu heilen, oder deren Symptome zu lindern. Dabei erhält sie viel Inspiration und Anregungen, muss aber mit der Zeit auch erkennen, dass dieser Weg nicht so einfach ist wie die Einnahme einer Pille. Als sie einige heftige Anfälle erleidet, muss sie sich fragen, ob ihr Vater vielleicht doch Recht haben könnte.

Anfangs ist man unsicher, ob man beeindruckt oder betroffen sein soll, wenn Yasmin Rams im persönlichen und künstlerischen Selbstversuch alternative Heilmethoden für Epilepsie und andere schwere Erkrankungen erkundet. Ist das zu verantworten gegenüber ihr selbst und ihrer Familie, aber auch hinsichtlich der weiteren Protagonist*innen und des Publikums? Handelt sie leichtfertig, oder will sie uns bekehren, wie sie es auch bei ihrem Vater versucht? Allerdings schafft gerade die Familiengeschichte und die dokumentierte Nähe und Auseinandersetzung mit ihrem Vater das nötige Vertrauen, sich mit ihr auf dieses Experiment einzulassen. Ihre Entschlossenheit wirkt ebenso naiv wie überzeugend, und man lässt sich mitreißen, ihr auf ihrer filmischen und spirituellen Reise zu folgen.

Dabei erkundet die Filmemacherin Ayurveda, traditionelle chinesische Medizin, übt sich im Kochen, nutzt Heilkräuter, probiert medizinisches Marihuana und schließlich auch Ayahuasca. Vor allem aber trifft sie Menschen, die ihren schweren Erkrankungen mit alternativen Methoden begegnen, wie ihre Freundin Hillary, die durch strikte Diät und Yoga seit über zehn Jahren symptomfrei von ihrer Multiplen Sklerose ist, oder Howard, der für sich ein TCM-inspiriertes Anti-Parkinson-Programm aufgestellt hat und Vorbild für viele andere ist. Es sind Menschen, die sich nicht über ihre Krankheit definieren wollen, sondern einen ganzheitlichen Ansatz vertreten und für sich selbst mit großer innerer Kraft einen individuellen Heilungsweg beschreiten.

Die anfänglich Euphorie der Regisseurin wird allerdings schon bald abgelöst von Nachdenklichkeit, wenn sie auf Menschen trifft, die trotz jahrelanger Anwendung alternativer Methoden unter starken Krankheitssymptomen leiden, und von Enttäuschung, als sie selbst heftige Rückschläge in ihrem Heilungsprozess verkraften muss. Mit diesen Misserfolgen geht sie ungeschönt ehrlich um, zeigt die Verletzungen, die sie bei einem schweren Sturz im Gesicht erlitten hat, und den Helm, den sie anschließend zum Schutz trägt. Die Ernüchterung führt allerdings auch zu der Einsicht, dass die im Film auftretenden charismatischen Protagonist*innen nicht über Allheilmittel verfügen, sondern ihre Erfolgsgeschichten auf sehr individuellen Wegen beruhen. Rams stellt fest, dass es keine allgemeingültigen Rezepte gibt und dass sie die klassische Medizin und ihre Medikamente nicht einfach 1:1 durch andere Heilverfahren ersetzen kann. Dennoch oder gerade deswegen kann man ihr Experiment als gelungen bezeichnen, zeigt es doch deutlich, was Krankheit mit den Menschen macht, aber auch was Menschen selbst gegen ihre Erkrankungen und deren Symptome tun können ? und sei es, dass sie sich bewusster ernähren und bewegen.

Auch ästhetisch ist der Film sehr gelungen. Gleich in der Eingangssequenz zeigt die Regisseurin in Bild und Ton eindringlich, wie sich ein epileptischer Anfall für sie anfühlt, und auch später versucht sie mit Doppelbildern und Doppelstimmen das Krankheitsbild zu vermitteln. Sie zeigt eigene Erfolge und Rückschläge und dokumentiert auch, wie die Erkrankung des Vaters fortschreitet. Mit der Kamera begleitet sie ihn oder andere Menschen zu Behandlungen, ist anteilnehmend, aber nie voyeuristisch. Auch das Verhältnis zu den anderen Protagonist*innen ist durch Nähe und Vertrauen gekennzeichnet. Die Kamera zeigt sie in ihrer jeweiligen Umgebung, mit der Familie und immer auch in der Natur, der eine wichtige Funktion m Heilungsprozess zukommt. Der Kommentar ist sehr persönlich, aber zurückhaltend, und der Schnitt fügt die einzelnen Episoden, die sich über einen langen Zeitraum erstrecken, harmonisch zusammen zu einem Film, der Mut macht, den eigenen Lebensweg zu gehen.



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