Anna und Herr Goethe (2016)
Drama über eine junge Frau, die in der Kindheit sexuell missbraucht wurde.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben insgesamt 8 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Anna (Kati Thiemer) streift durch die Straßen Berlins und betrinkt sich. In Gedanken rezitiert sie Goethes Gedichte und Verse aus dem "Faust". Sie begegnet Lucy (Patricia Grove), mit der sie eine Flasche Wein trinkt und die sie anschließend zu sich nach Hause einlädt. Mit Lucy, die ebenfalls Goethe mag, kann Anna lachen und sich wohlfühlen. Aber am nächsten Morgen sucht Anna schroff das Weite, die ungewohnte Nähe erträgt sie schlecht. Sie steigt in ein Apartment durch ein offenes Fenster ein und wartet auf die Ankunft des Bewohners. Als Daniel (Laurean Wagner) heimkommt, reagiert er überrascht, aber nicht abweisend. Er kennt Anna von früher, aus der Zeit, als sie in einem Kinderheim lebten. Der Heimleiter missbrauchte sie beide sexuell und als sie 15 Jahre alt wurden, schickte er Daniel fort. Anna blieb ihrem Peiniger allein ausgeliefert.
Anna überlegt, ob sie den Heimleiter besuchen soll, denn er war schließlich, von Daniel abgesehen, ihre einzige Bezugsperson und sie hängt irgendwie immer noch an ihm. Anna trinkt, trifft sich mit Lucy zum Gespräch auf einer Brücke, bleibt für ein paar Tage bei Daniel. Doch dann zeigt der freundliche junge Mann plötzlich seine dunkle Seite. Anna wendet sich desillusioniert an Lucy, die ihr rät, zur Polizei zu gehen.
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Filmkritik
Das Spielfilmdebüt der Regisseurin und Drehbuchautorin Kati Thiemer dauert nur circa 66 Minuten. Aber die Independent-Produktion vertieft sich dennoch in ein gewichtiges Thema und überrascht dabei mit gestalterischer Kreativität. Die von Thiemer gespielte Hauptfigur Anna ist eine junge Frau, die alkoholsüchtig durch Berlin irrt. In ihrer Einsamkeit und Verzweiflung gibt ihr dennoch etwas, das sie in ihrem Gedächtnis abgespeichert hat, geistigen Halt. Es sind die Gedichte des Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe, die Anna so liebt.
Schon allein diese ungewöhnliche Kombination einer verwahrlost wirkenden Betrunkenen und aus dem Off gesprochenen Versen der deutschen Klassik bricht mit Sehgewohnheiten. Sie regt dazu an, dem ersten Eindruck und dem Denken in Klischees zu misstrauen. Anna ist aus der Bahn geworfen, sie weiß nicht, wie sie als langjähriges Opfer sexuellen Missbrauchs jemals in ein selbstbestimmtes Leben finden soll. Aber Anna ist eben nicht nur versehrt und selbstzerstörerisch, sondern auch von Kunst geprägt. Wenn sie menschenscheu vor der Freundschaft flieht, die Lucy ihr anbietet, begleiten sie die Verse aus dem "Faust": "Es wächst das Glück, dann wird es angefochten. Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran." Nähe ist für Anna stets mit Leid verbunden gewesen.
Thiemer schildert, wie schwierig es für Anna ist, sich von den Menschen zu lösen, die ihr weh getan haben. Eine schöne Passage, in der sie von Daniel, ihrem früheren Freund und Leidensgenossen aus der Zeit im Kinderheim, umsorgt wird, lässt hoffen. Doch der Schein trügt. Die Zerrissenheit der jungen Titelfigur spiegelt sich in der Gestaltung des Films. Mit dem improvisierten Spiel der Darsteller*innen wirkt er spontan und in alle Richtungen offen. Annas Bilder im Kopf drängen unvermittelt zwischen die äußere Handlung, ihre Gefühle färben manche Szenen übertrieben bunt, andere in schwarz-weiß. Oft wirken Szenen abgehackt, aus sich heraus nicht verständlich, die Zuschauer*innen werden zum Mitraten animiert und zum Überbrücken fehlender Erklärungen. Annas Wanderung durch die Dunkelheit ist berührende, verdichtete Filmkost, durchzogen von einer gewissen Leichtigkeit, die einen neuen Morgen ankündigt.
Fazit: Das Spielfilmdebüt der Regisseurin Kati Thiemer wagt sich mit kreativen Ideen an ein schwieriges Thema. In der kurzen Zeit von 66 Filmminuten gelingt es Thiemer, überzeugend und berührend die Entwicklung einer jungen Frau aufzuzeigen, die sich von ihrer traumatischen Vergangenheit als Missbrauchsopfer lösen möchte. Sie weiß nicht, wem sie vertrauen kann und betäubt sich mit Alkohol, während sie aber zugleich auch Trost in den Gedichten Goethes, die sie liebt, findet. Mit improvisiertem Schauspiel, Erinnerungsschnipseln und rätselhaften Schnittfolgen wird die Sprunghaftigkeit der Hauptfigur gespiegelt, aber dem ernsten Thema auch eine atmosphärische Leichtigkeit beigemischt, die für die Hoffnung spricht.
Schon allein diese ungewöhnliche Kombination einer verwahrlost wirkenden Betrunkenen und aus dem Off gesprochenen Versen der deutschen Klassik bricht mit Sehgewohnheiten. Sie regt dazu an, dem ersten Eindruck und dem Denken in Klischees zu misstrauen. Anna ist aus der Bahn geworfen, sie weiß nicht, wie sie als langjähriges Opfer sexuellen Missbrauchs jemals in ein selbstbestimmtes Leben finden soll. Aber Anna ist eben nicht nur versehrt und selbstzerstörerisch, sondern auch von Kunst geprägt. Wenn sie menschenscheu vor der Freundschaft flieht, die Lucy ihr anbietet, begleiten sie die Verse aus dem "Faust": "Es wächst das Glück, dann wird es angefochten. Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran." Nähe ist für Anna stets mit Leid verbunden gewesen.
Thiemer schildert, wie schwierig es für Anna ist, sich von den Menschen zu lösen, die ihr weh getan haben. Eine schöne Passage, in der sie von Daniel, ihrem früheren Freund und Leidensgenossen aus der Zeit im Kinderheim, umsorgt wird, lässt hoffen. Doch der Schein trügt. Die Zerrissenheit der jungen Titelfigur spiegelt sich in der Gestaltung des Films. Mit dem improvisierten Spiel der Darsteller*innen wirkt er spontan und in alle Richtungen offen. Annas Bilder im Kopf drängen unvermittelt zwischen die äußere Handlung, ihre Gefühle färben manche Szenen übertrieben bunt, andere in schwarz-weiß. Oft wirken Szenen abgehackt, aus sich heraus nicht verständlich, die Zuschauer*innen werden zum Mitraten animiert und zum Überbrücken fehlender Erklärungen. Annas Wanderung durch die Dunkelheit ist berührende, verdichtete Filmkost, durchzogen von einer gewissen Leichtigkeit, die einen neuen Morgen ankündigt.
Fazit: Das Spielfilmdebüt der Regisseurin Kati Thiemer wagt sich mit kreativen Ideen an ein schwieriges Thema. In der kurzen Zeit von 66 Filmminuten gelingt es Thiemer, überzeugend und berührend die Entwicklung einer jungen Frau aufzuzeigen, die sich von ihrer traumatischen Vergangenheit als Missbrauchsopfer lösen möchte. Sie weiß nicht, wem sie vertrauen kann und betäubt sich mit Alkohol, während sie aber zugleich auch Trost in den Gedichten Goethes, die sie liebt, findet. Mit improvisiertem Schauspiel, Erinnerungsschnipseln und rätselhaften Schnittfolgen wird die Sprunghaftigkeit der Hauptfigur gespiegelt, aber dem ernsten Thema auch eine atmosphärische Leichtigkeit beigemischt, die für die Hoffnung spricht.
Bianka Piringer
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Besetzung & Crew von "Anna und Herr Goethe"
Land: DeutschlandJahr: 2016
Genre: Tragikomödie
Länge: 66 Minuten
Kinostart: 25.11.2021
Regie: Kati Thiemer
Darsteller: Jelena Baack, Patricia Grove, Heleen Joor, Kati Thiemer, Christian Wagner
Verleih: Sodawasser Pictures