FBW-Bewertung: Cyrano (2021)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Der Titelheld von Edmond Rostands Versdrama ?Cyrano de Bergerac? hat eine sehr große Nase. Und dies ist in den vielen bisherigen Filmadaptionen der Geschichte auch so geblieben. Nun ist aber in Zeiten von Schönheitsoperationen solch eine Verunstaltung des Gesichts kein tragikomischer Makel mehr, sondern ein lösbares kosmetische Problem. Es fehlt heute also an der nötigen Fallhöhe, und deshalb ist es eine inspirierte Idee, aus dem großen französischen Krieger und Poeten einen Kleinwüchsigen zu machen. Und Peter Dinklage ist hier, wie schon in der Bühneninszenierung von Erica Schmidt, die ideale Besetzung für diese Rolle. Regisseur Joe Wright war so klug, neben Dinklage und Schmid als Drehbuchautorin auch Haley Bennett in der Rolle der Roxanne aus der Bühnenfassung in die Kinoproduktion zu übernehmen. So kann er aus den Erfahrungen dieser drei Künstler*innen profitieren und hat sich dennoch Freiräume geschaffen, um seine eigene Fantasie ins Kraut schießen zu lassen. Er beginnt den Film mit einer ausufernden Bilderorgie des Barock, in der die grotesk geschminkten fratzenhaften Gesichter und die absurden Perücken der vielen Nebendarsteller*innen an die Filme von Fellini und Kubricks BARRY LYNDON erinnern. Nicht nur die Vorstellung im Theater, sondern alles ist hier eine große, extrem artifizielle Performance, und so scheint es fast schon natürlich, dass plötzlich gesungen und getanzt wird. Dabei sind die Musiknummern keine Showstopper in dem Sinne, dass durch sie, wie in vielen anderen Musicals, die Handlung aufgehalten wird. Stattdessen dienen die Lieder hier immer auch der Dramaturgie. Und so gelingt es Wright, den Film erstaunlich organisch fließen zu lassen. Die romantische Geschichte von der anmutigen Frau, die die innere Schönheit mit der äußeren verwechselt und so den falschen Mann heiratet, wird sehr berührend erzählt, und einer der Höhepunkte ist die Balkonszene, bei der Rostand Shakespeares Motiv nicht nur adaptiert, sondern sogar erweitert hat. Wright gelingt es, den Witz, die Tragik und die Lebensfreude dieser Szene zum Schillern zu bringen. Bei den Kriegsszenen traut er sich dann, mit einer ganz anderen Palette zu arbeiten. Von den bunten Farben und dem sommerlichen Licht des Barock wird hier zu düsteren, grauen Bildern gewechselt, und dieser Kontrast lässt die Schrecken des Krieges erstaunlich intensiv spürbar werden. Auch die Musik wechselt hier in ganz andere Stimmungen. Und so wird das Lied, in dem Soldaten vor der Schlacht Zeilen aus ihren vielleicht letzten Briefen an jene, die sie lieben, vorlesen, ein sowohl emotionaler wie auch musikalischer Höhepunkt des Musicals. Übertroffen wird das alles dann aber durch das Duett von Cyrano und Roxanne, die durch die geschickte Kameraführung zuletzt gleichgroß erscheinen und dieses eine letzte Mal einander ihre Liebe eingestehen können. Hier zeigt sich ganz besonders, wie gut die beiden sich diese Rollen zu Eigen gemacht haben, und wie perfekt es ihnen gelingt, so lebendig und intensiv zu agieren und gleichzeitig zu singen. Gelobt werden müssen auch die einfühlsame Synchronisation und die Entscheidung der deutschen Verleiher, die Songs nicht einzudeutschen, sondern im Original mit gut übersetzten Untertiteln zu präsentieren. In CYRANO werden das Leben, die Liebe und die Poesie gefeiert. Solche Filme braucht das Kino genau jetzt.Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)