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FBW-Bewertung: Falling (2020)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Viggo Mortensen erzählt in seinem Regiedebüt eine intime Familiengeschichte, in deren Rahmen er existentielle Themen wie Elternschaft, Demenz, selbstzerstörerische Aggression, Erinnerung, psychischen Missbrauch, Vergebung und Tod thematisiert. Er selber spielt den homosexuellen Piloten John Peterson, der seinen alten Vater Willis zu sich nach Hause nimmt, weil dieser an Demenz leidet und nicht mehr alleine auf seiner Farm leben kann. Lance Hendriksen spielt ihn mit einer oft kaum zu ertragenden Intensität als einen verbitterten Choleriker, den seine Gedächtnisverluste unberechenbar machen, und dem es gelingt, jeden Menschen in seiner Umgebung gegen sich aufzubringen. In Rückblenden wird erzählt, dass er auch als junger Vater schon egozentrisch, jähzornig und liebesunfähig war. Umso beeindruckender ist es, wie fürsorglich und geduldig sich sein Sohn John nun um ihn kümmert, obwohl sein Vater ihn und seinen Lebenspartner Eric ständig schwulenfeindlich beschimpft und er auch in seinen lichten Momenten nichts als Verachtung für seine Mitmenschen zu fühlen scheint. Im Gegensatz zu John ist die von Laura Linney gespielte Tochter endgültig auf Distanz zu ihrem Vater gegangen, und in einer Kernszene des Films sieht man an ihrem krampfhaften Lächeln am Tisch mit der ganzen Familie, wie schwer es für sie zu ertragen ist, auch nur am gleichen Tisch mit ihrem Vater zu sitzen. Für John ist sein Vater dagegen durch seine Krankheit wieder zu einem Kind geworden. Die Rollen der beiden sind vertauscht und John will nun sich, vor allem aber seinem Vater beweisen, dass er ein besserer Vater ist als dieser. So ist dann auch die einzige Person im Film, für die Willis positive Gefühle entwickelt, seine kleine Enkeltochter, die diese Sympathie auch teilen kann, weil sie als einzige ihn ohne die Last früherer Enttäuschungen sieht. Die Intensität, der Naturalismus und der schonungslose Blick, mit denen Mortensen inszeniert hat, erinnern eher an das europäische Kino, etwa von Ingmar Bergman. Jede Rolle ist perfekt besetzt und Mortensen hat das Ensemble der Schauspieler*innen so präzise auf die verschiedenen Situationen des Dramas eingestimmt, dass bei jeder Figur deutlich wird, wie sie mit den Verletzungen und Enttäuschungen umgeht, die Willis ihnen zugefügt hat. Und Mortensen kann auch filmisch erzählen, wie er in der letzten Auseinandersetzung zwischen John und Willis beweist. Während ihres Streits läuft auf einem Fernseher im Hintergrund eine Szene aus Howard Hawks Western RED RIVER, in dem John Wayne und Montgomery Clift einen ähnlichen Konflikt ausfechten wie die beiden. Nicht nur mit dieser ebenso beiläufigen wie raffinierten Spiegelung zeigt Mortensen, dass er auch als Regisseur einen eigenen Ton und Stil hat, die neugierig auf noch kommende Filme von ihm machen.



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