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FBW-Bewertung: Niemals Selten Manchmal Immer (2020)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Eliza Hittmans zweite Regiearbeit NIEMALS SELTEN MANCHMAL IMMER gehört zweifellos zu den einfühlsamsten, prägnantesten und bewegendsten Filmdramen, die sich bis heute mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch beschäftigt haben. Eine der zentralen Stärken des Films findet sich darin, dass die erzählerische Perspektive der beiden Hauptprotagonistinnen mit absoluterKonsequenz eingehalten wird. Stilistisch ist der Film einem scheinbar extremen Realismus verpflichtet, der jedoch weniger durch dokumentarische Mittel erzeugt wird als durch ein stark verdichtetes Buch und einer hochkonzentrierten Inszenierung der herausragenden Schauspielerinnen. Im Laufe des Films wird im Vergleich zum Üblichen sehr wenig gesprochen, die aus dem ländlichen Pennsylvania stammenden Figuren strahlen fast etwas Verstocktes aus ? umso stärker wächst mit zunehmender Dauer des Films die Identifikation mit ihnen. Den Bärenanteil daran, dass uns die Figuren näher erscheinen,als jede Abfolge von Dialogen es je vermag, trägt zweifelsohne Hél?ne Louvarts exzellente Kameraarbeit. Immer dicht bei den beiden Freundinnen spiegelt die Kamera in ihren Aktionen voller Zuneigung die Geschichte der beiden. Es ist, als streichle sie die Figuren und spreche aus, was die Freundinnen nicht ausdrücken können. Die ganze Grausamkeit der Situation und der sozialen Auswirkungen, die hinter den Figuren steht, wird nicht ausgesprochen, sondern hängt jederzeit als Bedrohung derart deutlich über den Szenen, dass wir als Betrachter*innen fast körperlich reagieren. Auch die Gefährdung, der beide im nächtlichen New York ausgesetzt sind, ist nur durch Andeutungen jederzeit spürbar. Eliza Hittman muss erstaunlich wenig ausformulieren, um das toxisch Männliche und das herrschende System des Patriarchats auf der Straße verstehbar zu machen, in dem sich zwei junge, unbedarfterscheinende Mädchen permanenter Sexualisierung ausgesetzt sehen. Auch wird niemals thematisiert, wie es zu dieser Schwangerschaft kam ? die Positionierung der Figuren in die gezeigte Welt bietet Antwort genug. Diese kunstvoll subtile Kommunikation der sozialen Zwischentöne, die von hoher Verantwortung gegenüber Stoff und Figuren zeugt, intensiviert noch die Beziehung, die sich zwischen Zuschauer*innen und Figuren aufbaut. All das kulminiert in der Befragung, der sich die Hauptfigur in der Abtreibungsklinik stellen muss, in der sie auf jede Frage mit jeweils einer der titelgebenden Antworten reagieren soll. In einer einzigen minutenlangen Einstellung gedreht, offenbart sich in wenigen Worten der ganze Abgrund an Erfahrungen des Mädchens in der patriarchalen Welt ihres Umfelds. Es ist nicht weniger als meisterhaft, wie Eliza Hittman uns emotional durch die Geschichte führt und dabei jederzeit ihren Figuren und dem Anliegen gegenüber absolut ehrlich und aufrichtig bleibt. Ein sensibler, ein wichtiger, ein großer Film.



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