Rojo - Wenn alle schweigen, ist keiner unschuldig (2018)
Rojo
Dunkle Vorahnung: internationale Koproduktion, die im Gewand eines Thrillers die Gräuel der argentinischen Militärdiktatur vorwegnimmt.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Der Anwalt Claudio (Darío Grandinetti) ist ein angesehener Mann. Mitte der 1970er-Jahre lebt er mit seiner Frau Susana (Andrea Frigerio) und der gemeinsamen Tochter Paula (Laura Grandinetti) in einem stattlichen Haus in der argentinischen Provinz. Von den politischen Unruhen in der Hauptstadt bekommen er und seine Familie nur am Rande mit. Als eines Abends ein Fremder (Diego Cremonesi) in einem Restaurant auftaucht und Claudio unvermittelt beleidigt, gerät seine heile Welt nach und nach ins Wanken. Eigentlich scheint der Vorfall erledigt zu sein. Doch dann kommt der aus dem Fernsehen bekannte Privatdetektiv Sinclair (Alfredo Castro) ins Spiel, um im Fall des durchreisenden und inzwischen verschwundenen Fremden zu ermitteln.
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Filmkritik
Benjamín Naishtats neuer Film beginnt ganz unscheinbar. Nach und nach verlassen Personen ein Haus. Zunächst sieht es so aus, als wären die Mitglieder einer Familie auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule und zum Einkauf. Doch irgendetwas an diesem Schauspiel irritiert. Die Personen werden immer mehr und verhalten sich seltsam, schieben beispielsweise ganze Schubkarrenladungen an Gegenständen durch die Eingangstür. Was das soll, klärt sich erst später. Im Verlauf der Handlung wird dieses Haus zwar nicht die zentrale, aber eine entscheidende Rolle spielen. Wie bei Naishtat üblich ist es ein Sinnbild.
Naishtat, 1986 in Buenos Aires geboren, setzt sich nicht zum ersten Mal mit den Abgründen der argentinischen Gesellschaft auseinander. Sein Langfilmdebüt "Historia del miedo" (2014), das es auf Anhieb in den Wettbewerb der Berlinale schaffte, ist eine rätselhaft und allegorisch erzählte Parabel auf soziale Ungleichheit. In "El Movimiento" (2015), der in Locarno zu sehen war, setzt sich Naishtat formal experimentierend mit den blutigen Anfängen des argentinischen Staates auseinander. "Rojo", der 2018 beim Filmfestival in San Sebastián gleich drei Preise abräumte, befasst sich nun mit einem dunklen Kapitel aus der jüngeren Vergangenheit. So konkret wie dieses Mal wurde Naishtat in seiner immer noch jungen Karriere bislang noch nie.
Vordergründig erzählt "Rojo", für den der Regisseur auch das Drehbuch geschrieben hat, von einem unaufgeklärten (Selbst-)Mord. Doch Benjamín Naishtat dient das Thrillergenre lediglich als Triebfeder, um eine Handlung in Gang zu bringen und am Laufen zu halten, die sich zu einem breiten Gesellschaftsroman auffächert. Durchgängiges Motiv ist das Verschwinden. Der von Darío Grandinetti mit stoischer innerer Anspannung gespielte Protagonist lässt einen Mann in der Wüste verschwinden. Ein Arzt und seine Frau verschwinden eigenmächtig aus dem Land. Der Familie aus dem eingangs erwähnten Haus gelang das vermutlich nicht mehr. Ja, selbst in einer Tanztheater-Aufführung an einer Schule geht es um Ureinwohner, die weißen Siedlern ihre Frauen rauben.
Die Handlung ist kurze Zeit vor dem Militärputsch 1976 angesiedelt. Wichtiger als das, was der Film zeigt, ist das, was unausgesprochen bleibt. In den unterschiedlichen Figuren – vom Protagonisten, der für das Wohl seiner Familie über Leichen geht, bis hin zu gewaltbereiten jungen Männern, die Konflikte mit radikalen Mitteln lösen – ist die Saat bereits angelegt, ist der Boden für die kommende Militärdiktatur bereitet. Die Paranoia, die allerorten um sich greift, übersetzt Naishtat auch in Filmbilder. Wenn sein Kameramann Pedro Sotero im Stile seines Kollegen Gregg Toland (u. a."Citizen Kane", 1941) Vorder- und Hintergründe gleichermaßen in den Fokus rückt, schnurrt der Raum dazwischen zusammen. Die Figuren darin verschwinden in der Unschärfe. Fast so, als wären sie nie da gewesen.
Fazit: Benjamín Naishtats neuer Film ist nur vordergründig ein Thriller. Der 1986 geborene Argentinier spannt ein breites Gesellschaftspanorama auf und zeigt ein Klima, das zehn Jahre vor der Geburt des Regisseurs die Militärdiktatur erst ermöglichte. Ein überzeugend gespielter und visuell experimentierfreudiger Film, in dem vieles nicht so ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Naishtat, 1986 in Buenos Aires geboren, setzt sich nicht zum ersten Mal mit den Abgründen der argentinischen Gesellschaft auseinander. Sein Langfilmdebüt "Historia del miedo" (2014), das es auf Anhieb in den Wettbewerb der Berlinale schaffte, ist eine rätselhaft und allegorisch erzählte Parabel auf soziale Ungleichheit. In "El Movimiento" (2015), der in Locarno zu sehen war, setzt sich Naishtat formal experimentierend mit den blutigen Anfängen des argentinischen Staates auseinander. "Rojo", der 2018 beim Filmfestival in San Sebastián gleich drei Preise abräumte, befasst sich nun mit einem dunklen Kapitel aus der jüngeren Vergangenheit. So konkret wie dieses Mal wurde Naishtat in seiner immer noch jungen Karriere bislang noch nie.
Vordergründig erzählt "Rojo", für den der Regisseur auch das Drehbuch geschrieben hat, von einem unaufgeklärten (Selbst-)Mord. Doch Benjamín Naishtat dient das Thrillergenre lediglich als Triebfeder, um eine Handlung in Gang zu bringen und am Laufen zu halten, die sich zu einem breiten Gesellschaftsroman auffächert. Durchgängiges Motiv ist das Verschwinden. Der von Darío Grandinetti mit stoischer innerer Anspannung gespielte Protagonist lässt einen Mann in der Wüste verschwinden. Ein Arzt und seine Frau verschwinden eigenmächtig aus dem Land. Der Familie aus dem eingangs erwähnten Haus gelang das vermutlich nicht mehr. Ja, selbst in einer Tanztheater-Aufführung an einer Schule geht es um Ureinwohner, die weißen Siedlern ihre Frauen rauben.
Die Handlung ist kurze Zeit vor dem Militärputsch 1976 angesiedelt. Wichtiger als das, was der Film zeigt, ist das, was unausgesprochen bleibt. In den unterschiedlichen Figuren – vom Protagonisten, der für das Wohl seiner Familie über Leichen geht, bis hin zu gewaltbereiten jungen Männern, die Konflikte mit radikalen Mitteln lösen – ist die Saat bereits angelegt, ist der Boden für die kommende Militärdiktatur bereitet. Die Paranoia, die allerorten um sich greift, übersetzt Naishtat auch in Filmbilder. Wenn sein Kameramann Pedro Sotero im Stile seines Kollegen Gregg Toland (u. a."Citizen Kane", 1941) Vorder- und Hintergründe gleichermaßen in den Fokus rückt, schnurrt der Raum dazwischen zusammen. Die Figuren darin verschwinden in der Unschärfe. Fast so, als wären sie nie da gewesen.
Fazit: Benjamín Naishtats neuer Film ist nur vordergründig ein Thriller. Der 1986 geborene Argentinier spannt ein breites Gesellschaftspanorama auf und zeigt ein Klima, das zehn Jahre vor der Geburt des Regisseurs die Militärdiktatur erst ermöglichte. Ein überzeugend gespielter und visuell experimentierfreudiger Film, in dem vieles nicht so ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Falk Straub
TrailerAlle "Rojo - Wenn alle schweigen, ist keiner unschuldig"-Trailer anzeigen
Besetzung & Crew von "Rojo - Wenn alle schweigen, ist keiner unschuldig"
Land: Argentinien, Brasilien, Frankreich, Deutschland, NiederlandeJahr: 2018
Genre: Thriller, Drama
Originaltitel: Rojo
Länge: 109 Minuten
FSK: 12
Kinostart: Unbekannt
Regie: Benjamín Naishtat
Darsteller: Dario Grandinetti als Claudio, Andrea Frigerio als Susana, Alfredo Castro als Detektiv Sinclair, Diego Cremonesi als Dieguito / El hippie, Laura Grandinetti als Paula
Kamera: Pedro Sotero
Verleih: Cine Global Filmverleih