Corpus Christi (2019)
Um Kopf und Römerkragen: polnisches Drama über einen Verbrecher, der als falscher Priester eine traumatisierte Dorfgemeinschaft miteinander versöhnt.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben insgesamt 3 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Der 20-jährige Daniel (Bartosz Bielenia) sitzt in einer Jugendstrafanstalt. Durch den Gefängnispfarrer Tomasz (Lukasz Simlat) findet er zu Gott. Nach seiner Entlassung möchte Daniel am liebsten Priester werden, doch das Seminar lässt keine Vorbestraften zu. Stattdessen soll er einen Job in einem Sägewerk antreten, in dem er aber nie aufkreuzt. Mit falschem Römerkragen gibt er sich als Geistlicher auf Wanderschaft aus und rutscht durch Zufall in die neue Rolle. Weil der Priester (Zdzislaw Wardejn) eines kleinen Dorfes, in dem Daniel Station macht, gesundheitlich angeschlagen ist, bittet er Daniel, für ein paar Tage für ihn zu übernehmen.
Aus den Tagen werden Wochen und Monate. Mit viel Improvisation und unorthodoxen Methoden gewinnt Daniel die Gemeinde für sich. Bald füllen sich die anfangs halbleeren Kirchenbänke wieder. Doch nicht jeder steht dem charismatischen jungen Mann so aufgeschlossen gegenüber wie die Jugendliche Marta (Eliza Rycembel). Martas Mutter Lidia (Aleksandra Konieczna), ihres Zeichens Küsterin, und der Bürgermeister (Leszek Lichota) beäugen Daniels Verhalten kritisch. Über allem schwebt eine Tragödie, die das Dorfleben lähmt.
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Filmkritik
Hochstapeleien im Habit sind in der Filmgeschichte keine Seltenheit. Wie die Uniform in der Köpenickiade verleiht auch das klerikale Gewand seinen Trägern unverhofften Respekt. Häufig stecken Verbrecher oder Menschen, die vor Verbrechern auf der Flucht sind, unter der Soutane, der Mönchskutte oder dem Nonnenschleier – mitunter gar mit vertauschten Geschlechtern. Komödien wie "Wir sind keine Engel" (1989), "Sister Act" (1992) oder "Nonnen auf der Flucht" (1990) lassen grüßen.
Jan Komasa ist sich des komödiantischen Potenzials eines solchen Rollentauschs durchaus bewusst. In einem Interview hat er darüber gesprochen. Der dritte Spielfilm des 1981 geborenen Regisseurs hat durchaus komische Momente. "Corpus Christi" ist jedoch ein Drama. Die kleinen Szenen und Augenblicke fungieren denn auch als comic relief, als kurzer Ausbruch aus einer in Trauer erstarrten Welt. Wie schwer sich der Schleier der Tragödie über den Handlungsort gelegt hat, verdeutlichen bereits die Bilder.
Komasa entführt sein Publikum in zwei bleierne Gemeinschaften: in eine reine Männergesellschaft in einer Jugendstrafanstalt und in ein Dorf mit nicht minder rigorosen Regeln. Kameramann Piotr Sobocinski Jr. setzt beide Welten in dezenten, dunklen Farben in Szene. Seine Räume sind lichtdurchflutet, ganz so, als übertrage sich das diesige Wetter von draußen nach drinnen. Vereinzelte Farbakzente besitzen stets eine Bedeutung. Geht ein Schuppen in Flammen auf, dann brennt es auch im Protagonisten lichterloh.
Die Geschichte des 20-jährigen Daniel (Bartosz Bielenia), der sich als Priester ausgibt und eine kleine Gemeinde täuscht, basiert auf einer wahren Begebenheit. Drehbuchautor Mateusz Pacewicz hat Daniels kriminelle Vergangenheit und die Tragödie, die das Dorfleben lähmt, allerdings dazu gedichtet. Sie bilden den Treibstoff, der die Handlung zündet und bis zum Schluss am Laufen hält. Bartosz Bielenia gibt dabei richtig Gas. Er spielt Daniel zurückhaltend und verschlossen, dabei aber mit solch einer Wucht, dass es niemanden im Publikum kaltlässt.
In ihrer Trauer erstarrt, wird den Dorfbewohnern ihre geistige und moralische Unbeweglichkeit zum Gefängnis. Die rückständigen Vorstellungen von Sünde und Sühne gleichen dem Gesetz des Stärkeren, das in der Jugendstrafanstalt immer dann zur Anwendung kommt, wenn die Verantwortlichen nicht hinsehen. Ironischerweise ist es gerade das während der Haft erlernte Anti-Aggressions-Training, das Daniel im Priestergewand bei der Trauerarbeit hilft.
"Corpus Christi" ist ein kluger Film über Menschlichkeit, Ehrlichkeit und Scheinheiligkeit. Er erkundet, ob ein guter Christ zwangsläufig auch ein guter Mensch ist oder ob die Menschen im festen Glauben, gute Christen zu sein, nicht zu schlechten Menschen werden. Es geht aber nicht nur um den Glauben und die (katholische) Kirche. Unter all dem steckt auch eine Geschichte über Gier und Macht, vor allem aber eine über Wahrheit, Lüge und Selbstlüge. Manchmal braucht es einen Lügner wie Daniel, um die Wahrheit auszusprechen.
Fazit: "Corpus Christi" war Polens Beitrag für die Oscarverleihung 2020. Zwar zog der Film gegen "Parasite" den Kürzeren, ist aber ebenso sehenswert. Regisseur Jan Komasa legt ein fabelhaft gespieltes und visuell wohldurchdachtes Drama über Wahrheit, Lüge und Selbstlüge vor. Der Kinobesuch lohnt sich auch für Menschen, die mit der Kirche nichts am Hut haben.
Jan Komasa ist sich des komödiantischen Potenzials eines solchen Rollentauschs durchaus bewusst. In einem Interview hat er darüber gesprochen. Der dritte Spielfilm des 1981 geborenen Regisseurs hat durchaus komische Momente. "Corpus Christi" ist jedoch ein Drama. Die kleinen Szenen und Augenblicke fungieren denn auch als comic relief, als kurzer Ausbruch aus einer in Trauer erstarrten Welt. Wie schwer sich der Schleier der Tragödie über den Handlungsort gelegt hat, verdeutlichen bereits die Bilder.
Komasa entführt sein Publikum in zwei bleierne Gemeinschaften: in eine reine Männergesellschaft in einer Jugendstrafanstalt und in ein Dorf mit nicht minder rigorosen Regeln. Kameramann Piotr Sobocinski Jr. setzt beide Welten in dezenten, dunklen Farben in Szene. Seine Räume sind lichtdurchflutet, ganz so, als übertrage sich das diesige Wetter von draußen nach drinnen. Vereinzelte Farbakzente besitzen stets eine Bedeutung. Geht ein Schuppen in Flammen auf, dann brennt es auch im Protagonisten lichterloh.
Die Geschichte des 20-jährigen Daniel (Bartosz Bielenia), der sich als Priester ausgibt und eine kleine Gemeinde täuscht, basiert auf einer wahren Begebenheit. Drehbuchautor Mateusz Pacewicz hat Daniels kriminelle Vergangenheit und die Tragödie, die das Dorfleben lähmt, allerdings dazu gedichtet. Sie bilden den Treibstoff, der die Handlung zündet und bis zum Schluss am Laufen hält. Bartosz Bielenia gibt dabei richtig Gas. Er spielt Daniel zurückhaltend und verschlossen, dabei aber mit solch einer Wucht, dass es niemanden im Publikum kaltlässt.
In ihrer Trauer erstarrt, wird den Dorfbewohnern ihre geistige und moralische Unbeweglichkeit zum Gefängnis. Die rückständigen Vorstellungen von Sünde und Sühne gleichen dem Gesetz des Stärkeren, das in der Jugendstrafanstalt immer dann zur Anwendung kommt, wenn die Verantwortlichen nicht hinsehen. Ironischerweise ist es gerade das während der Haft erlernte Anti-Aggressions-Training, das Daniel im Priestergewand bei der Trauerarbeit hilft.
"Corpus Christi" ist ein kluger Film über Menschlichkeit, Ehrlichkeit und Scheinheiligkeit. Er erkundet, ob ein guter Christ zwangsläufig auch ein guter Mensch ist oder ob die Menschen im festen Glauben, gute Christen zu sein, nicht zu schlechten Menschen werden. Es geht aber nicht nur um den Glauben und die (katholische) Kirche. Unter all dem steckt auch eine Geschichte über Gier und Macht, vor allem aber eine über Wahrheit, Lüge und Selbstlüge. Manchmal braucht es einen Lügner wie Daniel, um die Wahrheit auszusprechen.
Fazit: "Corpus Christi" war Polens Beitrag für die Oscarverleihung 2020. Zwar zog der Film gegen "Parasite" den Kürzeren, ist aber ebenso sehenswert. Regisseur Jan Komasa legt ein fabelhaft gespieltes und visuell wohldurchdachtes Drama über Wahrheit, Lüge und Selbstlüge vor. Der Kinobesuch lohnt sich auch für Menschen, die mit der Kirche nichts am Hut haben.
Falk Straub
TrailerAlle "Corpus Christi"-Trailer anzeigen
Besetzung & Crew von "Corpus Christi"
Land: PolenJahr: 2019
Genre: Drama
Länge: 115 Minuten
FSK: 16
Kinostart: 03.09.2020
Regie: Jan Komasa
Darsteller: Bartosz Bielenia als Daniel, Aleksandra Konieczna als Lidia, Eliza Rycembel als Eliza, Tomasz Zietek als 'Pinczer', Barbara Kurzaj als Widow
Kamera: Piotr Sobocinski Jr.
Verleih: Arsenal
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