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FBW-Bewertung: Helmut Newton - The Bad and the Beautiful (2020)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Bei einem Film, der rund um den 100. Geburtstag eines Künstlers in die Kinos kommt, glaubt man zu wissen, was kommt: eine Einführung ins Werk, abgehandelt als Entwicklungserzählung von Kindheit bis zum Tod. Gero von Boehm aber überrascht in HELMUT NEWTON ? THE BAD AND THE BEAUTIFUL den Zuschauer mit einem ungewöhnlichen Einstieg: Er beginnt mit der Kontroverse, die Newtons Bilder ausgelöst haben. Damit verlegt er von Anfang an den Schwerpunkt seines Films von der biografischen auf die thematische Seite. In zahlreichen Interviews mit den berühmten Models, mit denen Newton gearbeitet hat ? Isabella Rossellini, Claudia Schiffer, Grace Jones, Hannah Schygulla, Nadja Auermann u.a. ?, fächert der Film verschiedene Sichtweisen auf Newtons Fotografie auf. Auch wenn die Zeitzeugen fast ausschließlich Positives über den Mann und seine Arbeitsweise erzählen, wird zugleich deutlich, wie vieldeutig seine Bilder sind und waren: Was damalsaus feministischer Sicht als frauenfeindlich erschien, das Ablichten von nackten Frauen in unterwürfigen Posen, wirkt heute eher wie ein Augenöffner auf das, was verborgene gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen sind; damals, als die Fotos die Cover von ?Vogue? und ?Stern? zierten, galten sie aus Ausdruck eines Blicks, der Frauen auf Sex-Objekt-Status reduziert, heute stellen sie in ihrer Künstlichkeit, ihrer Inszenierung die systemische Frauenfeindlichkeit aus, während sie gleichzeitig auf das Macht- und Stärke-Potential von Frauen hinweisen.
Die Stärke von Gero von Boehms Ansatz besteht seinerseits darin, dass er durch seinen Ansatz, die Models und Wegbegleiterinnen sprechen zu lassen, viele Aspekte nebeneinander anreißen und für sich stehen lassen kann.
Erst relativ spät bringt Gero von Boehm die Biografie von Newton ins Spiel, seine Kinder- und Jugendjahre als verwöhnter Fabrikantensohn in Berlin, die Lehre, die er in den 1930er Jahren bei der jüdischen Fotografin Yva absolvierte, seine Flucht im Jahr 1938 nach Singapur und dann nach Australien. Von Boehm nutzt Archivmaterial, verschiedene Interviewausschnitte aus verschiedenen Jahren, die er mosaikartig zusammensetzt, um möglichst viel seiner Biografie in Newtons eigener Sichtweise wiederzugeben.
Ein dritter Schwerpunkt des Films bildet Newtons Beziehung zu seiner Ehefrau June, deren eigene Arbeit und ihr Einfluss auf das Werk ihres Mannes, zur Geltung gebracht wird.
HELMUT NEWTON? THE BAD AND THE BEAUTIFUL erfüllt auf diese Weise viele Ansprüche auf einmal: Er führt auf unpolemische Weise ein in ein umstrittenes Werk, beleuchtet die interessante Biografie dahinter, führt gleichzeitig ? das vor allem auch durch die gewählte Begleitmusik aus gängigen Popsongs der Ära ? zurück in die 1970er und 1980er Jahre als einer Epoche, in der sich die Begriffe davon, was Modefotografie und was Kunst ist, wesentlich verändern. Mit diesem Ansatz gelingt es dem Film, die Lust an der Auseinandersetzung mit Newton über die eigene Länge hinaus zu wecken und zu fördern.



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