FBW-Bewertung: Emma (2020)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: In den 1990er Jahren gab es eine große Welle von Jane-Austen-Verfilmungen fürs Kino, und auch im britischen Fernsehen finden die Figuren der berühmten Schriftstellerin immer wieder ihren Platz. Nun hat die US-amerikanische Fotografin und Filmemacherin Autumn de Wilde mit EMMA ihr Langfilmdebüt inszeniert, und natürlich sind bei dieser Neuinterpretation des nun 200 Jahre alten Stoffes Vergleiche mit der Kino-Version von 1996 nicht zu vermeiden. Damals spielte Gwyneth Paltrow Emma Woodhouse, eine reiche, junge Dame, die sich für klüger hält als alle anderen und glaubt, diese glücklich zu machen, indem sie gerade diejenigen miteinander verkuppelt, die überhaupt nicht zueinander passen. CLUELESS, also ?Ahnungslos? war dann auch der passendere Titel einer zeitgenössischen Variation der Geschichte mit Alicia Silverstone als Protagonistin. Nun sind Paltrow und Silverstone in ihren jeweiligen Rollen absolute Sympathieträgerinnen, während Jane Austen Emma als eine ?Heldin, die niemand außer mir selbst mag? beschrieben hat. Und in diesem Sinne ist Autumn de Wilde werktreuer als ihre Vorgänger, denn Anya Taylor-Joy verkörpert Emma eher schnippisch als charmant und somit als eine snobistische Besserwisserin, die andere gedankenlos kränkt und beleidigt. Das Milieu des Landadels, in dem alle Figuren wie in einer Blase leben, wird hier auch nicht idyllisch verklärt wie etwa in Ang Lees SINN UND SINNLICHKEIT, sondern statt dessen mit deutlicherem satirischem Biss gestaltet. Witz und Musikalität sindeindeutige Stärken der Regisseurin. Die Bewegungen und Dialogsätze sind rhythmisch präzise gesetzt, und wenn sich die Filmfiguren in den Räumen bewegen, sind diese Sequenzen choreografisch inszeniert. Da ist die Musik dann genau auf eine Geste oder einen Ausruf hin arrangiert. De Wilde, die sichmit Videokunst einen Namen gemacht hat, inszeniert ungewöhnlich musikalisch. Und sie hat erkannt, dass Jane Austen im Grunde eine komische Autorin ist. So macht sie aus skurilen Figuren wie etwa Emmas phlegmatischem und hypochondrischem Vater, der von Bill Nighy verkörpert wird, die eigentlichenSympathieträger des Films. Emmas Freundin Harriet, die voller Naivität an ihren Lippen hängt und auf ihr Anraten hin den Mann verstößt, der ideal zu ihr passen würde und sie aufrichtig liebt, wird von Mia Goth mit solch einem breiten, unschuldig strahlenden Lächeln gespielt, dass sie den Beschützerinstinkt aller Zuschauern wecken dürfte. Und Mr. Knightley, der nicht umsonst den edlen Ritter im Namen trägt, und schließlich für die erfolgreiche Gefühlsbildung von Emma verantwortlich ist, wird mit blondem Wuschelkopf und rebellischer Attitüde von dem jungen britischen Sänger JohnnyFlynn gespielt. Auch wenn sich Autumn de Wilde keine Anachronismen im Stil von Sofia Coppola leistet und ihr Film als aufwendig ausgestatteter historischer Kostümfilm aufwendig und stimmig inszeniert ist, wirkt er erstaunlich modern.Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)