Spuren - Die Opfer des NSU (2019)
In dem Dokumentarfilm kommen Hinterbliebene dreier Mordopfer des rechtsterroristischen NSU zu Wort.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Von 2000 bis 2007 ermordete die rechte Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" - NSU – in Deutschland zehn Menschen. Acht der Opfer waren türkischstämmige Männer. Die beiden anderen Ermordeten waren ein griechischstämmiger Mann und eine deutsche Polizistin. Bis zur Enttarnung des von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gebildeten Terrortrios 2011 tappt die Polizei mit ihren Ermittlungen im Dunkeln. Sie vermutet, dass die Opfer mit Migrationshintergrund selbst in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen sein könnten. Sie sucht die Täter im Bereich einer türkischen Mafia, forscht nach belastendem Material im Leben der Toten, verhört die Angehörigen, sät mit ihren Fragen Misstrauen im sozialen Umfeld der Opferfamilien. Diese fühlen sich ihres guten Rufs beraubt.
In diesem Film kommen Angehörige dreier türkischer Mordopfer zu Wort und ein Mann, der um seinen Chef trauert. Am 11. Juli 2018 ging der NSU-Prozess zu Ende, aber viele der Hinterbliebenen fanden ihn unbefriedigend. Sie sind tief verunsichert in ihrem Vertrauen in den deutschen Staat und ihrem Verhältnis zu diesem Land, das besonders der zweiten und dritten Generation der Deutschtürken zur Heimat geworden war.
Bildergalerie zum Film "Spuren - Die Opfer des NSU"
Filmkritik
Viel ist geredet worden über die NSU-Morde, nach denen die Polizei jahrelang in falscher Richtung ermittelte. Wie konnte es dazu kommen, dass man die Täter im Bereich einer orientalischen Mafia vermutete, nur weil acht der zehn Mordopfer Deutschtürken waren? Warum wurde nicht an ein rechtsterroristisches Motiv gedacht? Auch nach dem Ende des NSU-Prozesses 2018 sind diese Fragen offengeblieben. Die Hinterbliebenen der Opfer tragen die Bürde ihrer Trauer, der Erfahrung eines mörderischen Rassismus und stigmatisierender Ermittlungen. Die deutschtürkische Dokumentarfilmerin Aysun Bademsoy lässt die Angehörigen erzählen, die bereit waren, sich ihr im Gespräch – mal auf Deutsch, mal auf Türkisch – anzuvertrauen.
Der Film beginnt mit Ali Toy und seinem Blumenstand an einer Straße bei Nürnberg. Toy hätte hier auch am 9. September 2000 gestanden, wäre er damals nicht in Urlaub gefahren. Die mörderischen Kugeln trafen an jenem Tag seinen Chef Enver Şimşek. Der Neffe des Ermordeten, so erzählt es Toy, übernahm den Blumenhandel und entfernte den Namensschriftzug vom Lieferwagen, aus Angst, er könne weitere rassistische Täter anlocken. Şimşeks Witwe Adile und seine Tochter Semiya sind in die Türkei zurückgekehrt. Die Witwe erzählt, wie sie in Deutschland beim Verhör Bilder einer angeblichen Geliebten ihres Mannes gezeigt bekam. Gamze, die Tochter des 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşik, traute sich ein Jahr lang nicht mehr aus dem Haus, weil spekuliert wurde, ihr Vater sei ein Drogenhändler gewesen. Osman Taşköprü, der Bruder des in Hamburg-Altona 2001 ermordeten Süleyman Taşköprü, erzählt von bewegten Jugendjahren mit seinem Bruder im Kiez.
Der Film bietet den Trauernden nicht nur ein Ventil für Wut und Schmerz. Die Menschen, die mit Aysun Bademsoy sprechen, öffnen sich weit genug um zu zeigen, wie sie mit dem Verlust umgehen, was ihnen Trost gibt. Dabei entstehen bewegende Momente, die eine heilsame Kraft verströmen, etwa wenn Ali Toy die Obstbäume zeigt, die er im Gedenken an seinen Chef am Tatort gepflanzt hat.
Der gemeinsame kulturelle Hintergrund der Filmemacherin und der Protagonisten schafft eine gute Basis für die schwierigen Gespräche. Dass diese schwer geprüften Menschen ihren Schutzpanzer des Schweigens ablegen können, ist ein wichtiger Schritt zur Selbstermächtigung. Der Film erfüllt im Grunde eine gesellschaftliche Aufgabe, indem er ihnen öffentliche Anteilnahme signalisiert und ermöglicht.
Fazit: Der Dokumentarfilm von Aysun Bademsoy gibt Angehörigen von Mordopfern der Terrorgruppe NSU eine Stimme. Ein Arbeitskollege, die Witwe und die Tochter Enver Şimşeks, der Bruder von Süleyman Taşköprü, die Witwe und die Tochter von Mehmet Kubaşik erzählen von ihrem Verlust und den Wunden, die die anfänglich gegen die türkischstämmigen Opfer und ihre Familien gerichteten Ermittlungen schlugen. Aufrichtig, bewegend und sehr differenziert kommen die Erschütterungen zur Sprache, die auch ihr Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Gesellschaft betreffen.
Der Film beginnt mit Ali Toy und seinem Blumenstand an einer Straße bei Nürnberg. Toy hätte hier auch am 9. September 2000 gestanden, wäre er damals nicht in Urlaub gefahren. Die mörderischen Kugeln trafen an jenem Tag seinen Chef Enver Şimşek. Der Neffe des Ermordeten, so erzählt es Toy, übernahm den Blumenhandel und entfernte den Namensschriftzug vom Lieferwagen, aus Angst, er könne weitere rassistische Täter anlocken. Şimşeks Witwe Adile und seine Tochter Semiya sind in die Türkei zurückgekehrt. Die Witwe erzählt, wie sie in Deutschland beim Verhör Bilder einer angeblichen Geliebten ihres Mannes gezeigt bekam. Gamze, die Tochter des 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşik, traute sich ein Jahr lang nicht mehr aus dem Haus, weil spekuliert wurde, ihr Vater sei ein Drogenhändler gewesen. Osman Taşköprü, der Bruder des in Hamburg-Altona 2001 ermordeten Süleyman Taşköprü, erzählt von bewegten Jugendjahren mit seinem Bruder im Kiez.
Der Film bietet den Trauernden nicht nur ein Ventil für Wut und Schmerz. Die Menschen, die mit Aysun Bademsoy sprechen, öffnen sich weit genug um zu zeigen, wie sie mit dem Verlust umgehen, was ihnen Trost gibt. Dabei entstehen bewegende Momente, die eine heilsame Kraft verströmen, etwa wenn Ali Toy die Obstbäume zeigt, die er im Gedenken an seinen Chef am Tatort gepflanzt hat.
Der gemeinsame kulturelle Hintergrund der Filmemacherin und der Protagonisten schafft eine gute Basis für die schwierigen Gespräche. Dass diese schwer geprüften Menschen ihren Schutzpanzer des Schweigens ablegen können, ist ein wichtiger Schritt zur Selbstermächtigung. Der Film erfüllt im Grunde eine gesellschaftliche Aufgabe, indem er ihnen öffentliche Anteilnahme signalisiert und ermöglicht.
Fazit: Der Dokumentarfilm von Aysun Bademsoy gibt Angehörigen von Mordopfern der Terrorgruppe NSU eine Stimme. Ein Arbeitskollege, die Witwe und die Tochter Enver Şimşeks, der Bruder von Süleyman Taşköprü, die Witwe und die Tochter von Mehmet Kubaşik erzählen von ihrem Verlust und den Wunden, die die anfänglich gegen die türkischstämmigen Opfer und ihre Familien gerichteten Ermittlungen schlugen. Aufrichtig, bewegend und sehr differenziert kommen die Erschütterungen zur Sprache, die auch ihr Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Gesellschaft betreffen.
Bianka Piringer
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Besetzung & Crew von "Spuren - Die Opfer des NSU"
Land: DeutschlandJahr: 2019
Genre: Dokumentation
Länge: 81 Minuten
Kinostart: 13.02.2020
Regie: Aysun Bademsoy
Verleih: Salzgeber & Co. Medien GmbH
ZusatzinformationAlles anzeigen
9. SEPTEMBER 2000Enver Şimşek, Inhaber eines Blumengroßhandels im hessischen Schlüchtern, wird am Rande einer Ausfallstraße im Osten Nürnbergs, wo er seinen mobilen Blumenstand in [...mehr] einer Parkbucht aufgebaut hat, mit acht Schüssen aus zwei Pistolen niedergeschossen. Er stirbt zwei Tage später im Krankenhaus. Der 38-Jährige war 1986 aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Es ist der Beginn einer Mordserie, der in den folgenden sieben Jahren acht weitere unbescholtene, der Polizei unbekannte Ehemänner, Familienväter, Brüder zum Opfer fallen sollen sowie eine Polizistin.
13. JUNI 2001
Abdurrahim Özüdoğru, Betreiber einer Änderungsschneiderei in der Nürnberger Südstadt, wird in seinem Ladengeschäft mit zwei Kopfschüssen getötet. Er ist 49 Jahre alt; 1972 immigrierte er aus der Türkei nach Deutschland.
27. JUNI 2001
Süleyman Taşköprü, Obst- und Gemüsehändler, wird in Hamburg-Bahrenfeld im Laden seines Vaters mit drei Schüssen aus zwei Waffen getötet. Der 31-Jährige stammte aus dem türkischen Afyonkarahisar und hatte eine dreijährige Tochter.
29. AUGUST 2001
Habil Kılıç, 38-jähriger Inhaber eines Obstund Gemüsehandels in München-Ramersdorf, wird in seinem Geschäft am helllichten Tag erschossen. Nicht einmal 100 Meter von dem Laden entfernt befindet sich eine Polizeiwache.
25. FEBRUAR 2004
Mehmet Turgut, wird an einem DönerKebab-Imbiss im Rostocker Ortsteil Toitenwinkel mit drei Kopfschüssen getötet. Der 25-Jährige aus der Türkei war zu Besuch bei einem Freund in Rostock, für den er spontan die Öffnung des Imbisses am Vormittag übernommen hatte. Bis zehn Tage vor der Tat hatte er in Hamburg gelebt.
9. JUNI 2004
In der Keupstraße in Mülheim (Köln) wird ein Anschlag mit einer Nagelbombe verübt. Am Tatort befinden sich viele türkische Geschäfte. 22 Personen werden verletzt, einige davon lebensgefährlich. Da die Ermittler keine gezielte Opferwahl erkennen, wird ein terroristischer Hintergrund zunächst ausgeschlossen.
9. JUNI 2005
İsmail Yaşar, 50-jähriger Inhaber eines Döner-Kebap-Imbisses, wird in seinem Verkaufsstand in der Nürnberger Scharrerstraße mit fünf Schüssen in Kopf und Oberkörper getötet. Zeugen bemerken zwei sich auffällig verhaltende Männer mit Fahrrädern in Tatortnähe. Der Imbiss befindet sich gegenüber einer Schule.
15. JUNI 2005
Theodoros Boulgarides, 41-jähriger Mitinhaber eines Schlüsseldienstes aus Griechenland, wird in seinem Geschäft in München-Westend erschossen. Die örtliche Boulevardpresse schreibt nach dem Mord: "Türken-Mafia schlug wieder zu". 4. APRIL 2006
Mehmet Kubaşık, Besitzer eines Kiosks, wird in seinem Geschäft in der Dortmunder Nordstadt getötet. Der 39-Jährige ist Deutscher türkischer Herkunft.
6. APRIL 2006
Halit Yozgat, Betreiber eines Internetcafés und türkischstämmiger Deutscher, wird in seinem Geschäft in Kassel durch zwei Kopfschüsse getötet. Er ist 21 Jahre alt. Während der Tat befindet sich Andreas Temme, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, im Café, der sich nicht als Zeuge meldet und erst später durch die Polizei ermittelt wird.
11. JUNI 2006
Türkische Kulturvereine organisieren einen Schweigemarsch in Dortmund, gedenken der neun Opfer der Mordserie und rufen die Behörden auf, ein zehntes Opfer zu verhindern.
25. APRIL 2017
Die 22-jährige Bereitschaftspolizistin Michèle Kiesewetter wird in ihrem Dienstwagen bei der Heilbronner Theresienwiese erschossen. Ihr Kollege überlebt einen Kopfschuss schwer verletzt. Die Ermittlungen führen auf falsche Spuren.
NOVEMBER 2011
Die rechtsextreme Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) wird aufgedeckt. Die beiden mutmaßlichen Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt werden nach einem Bankraub am 4. November 2011 in Eisenach tot aufgefunden. In einer ausgebrannten Wohnung in Zwickau, in der Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe gewohnt haben, wird unter anderem eine mehrfach vervielfältigte DVD gefunden, die als Bekennervideo die Serie von Tötungsdelikten belegt. Am 11. November 2011 übernimmt die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen. Auf deren Antrag erlässt der Bundesgerichtshof am 13. November 2011 Haftbefehl gegen Zschäpe wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
8. NOVEMBER 2012
Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe, unter anderem wegen Mittäterschaft in zehn Mordfällen, besonders schwerer Brandstiftung und Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sowie gegen Ralf Wohlleben und Carsten Schultze wegen Beihilfe in neun Mordfällen, André Eminger wegen Beihilfe zum Sprengstoffanschlag in Köln, wegen Beihilfe zum Raub und Unterstützung der terroristischen Vereinigung in jeweils zwei Fällen, und Holger Gerlach wegen Unterstützung der terroristischen Vereinigung in drei Fällen.
6. MAI 2013
Der NSU-Prozess vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München beginnt. Er gilt als wichtigster Strafprozess seit der Wiedervereinigung und als der größte und kostspieligste, der bis dato in Deutschland gegen Neonazis geführt wurde.
11. JULI 2018
Der NSU-Prozess endet als einer der längsten nach den Nürnberger Prozessen. Zschäpe wird zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht stellt die besondere Schwere ihrer Schuld fest. Die vier als NSUHelfer Mitangeklagten werden ebenfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt: Wohlleben zu zehn Jahren, Schultze zu drei Jahren Jugendstrafe, Gerlach zu drei Jahren, Eminger zu zwei Jahren und sechs Monaten. Eminger wird noch am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen, was zu Jubel unter den im Publikum anwesenden Neonazis führt. Wenige Tage später, am 18. Juli 2018, wird auch der bekennende Neonazi Wohlleben nach sechs Jahren und acht Monaten vorzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen.