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FBW-Bewertung: Die schönste Zeit unseres Lebens (2019)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Für die schon vielfach in Filmen umgesetzte Idee der Zeitreise findet'DIE SCHÖNSTE ZEIT UNSERES LEBENS von Nicolas Bedos einen neuen und durchaus originellen erzählerischen Ansatz: Victor (Daniel Auteuil) ist einer jener älteren Männer, die nicht mit der Zeit gehen wollen. Die Digitalisierung hat ihn bereits den Job als Karikaturist einer Zeitung gekostet, nun droht er auch noch seine Frau zu verlieren. Denn Marianne (Fanny Ardant), Psychotherapeutin und mit Victor seit über 40 Jahren verheiratet, hat erstens keine Probleme bei der Benutzung eines Smartphones und zweitens kein Verständnis für die ständige schlechte Laune ihres Gatten. Genervt von dessen Untätigkeit und Unwillen, dem Altern etwas entgegen zu setzen, schmeißt sie ihn eines Tages raus. Ohne richtig zu wissen, wohin, greift Victor zu einem letzten Strohhalm, einem Geschenk seines Sohnes Maxime (Michael Cohen): Ein Gutschein für einen Tag in der Vergangenheit seiner Wahl. Der Organisator solcher Zeitreisen ist Maximes guter Freund Antoine (Guillaume Canet), der wie ein Hollywood-Tycoon von einst für seine Kunden ganze Epochen rekonstruiert und sie darin wandeln lässt. Die einen wollen mal mit Hemingway in einer Bar sitzen, andere als Gast von Aristokraten im 19. Jahrhundert hemmungslos dem eigenen Rassismus frönen oder gar mit Hitler beim Münchner Abkommen mitmischen. Victors Wunsch ist jedoch sehr viel individueller: Er möchte zurück ins Jahr 1974, in eine ganz bestimmte Bar, an einem ganz bestimmten Zeitpunkt: dem Tag, als er dort Marianne kennenlernte und sich in sie verliebte. Antoine hat für die jugendliche Version von Marianne die Idealbesetzung: seine eigene Freundin Margot (Dora Tillier). Die Inszenierung schickt nun beide Paare in ungeahnte Konstellationen und Konflikte, sowohl die"Alten"Victor und Marianne, als auch die jungen Antoine und Margot.

Dem ersten Eindruck nach, so die Jury, erscheint Bedos'Film als gut inszenierte, besonders in seinem 70er-Jahre-Setting wunderbar ausgestattete und darüber hinaus besetzt mit der Creme de la Creme der französischen Schauspieler, herausragend gespielte Unterhaltung, kurzum ein weiteres amüsantes Feelgoodmovie, wie man es aus Frankreich kennt. Der tiefere Blick offenbart jedoch einige filmische Strategien, die über das im Genre Erwartete hinausgehen. Zum einen gelingt es Bedos, den Zuschauer von Beginn an regelrecht mitzureißen, indem er ihn gleichsam hineinwirft ins Geschehen, sowohl in die historischen Rekonstruktionen von Antoine, die zunächst ohne Erklärung gezeigt werden, als auch in die Ehekrise von Victor und Marianne, die schonbrodelt, als der Film einsetzt. Später wechselt der Film äußerst dynamisch die Perspektive zwischen Victor, wie er in seinen eigenen Erinnerungen aus dem Jahre 1974 wandelt, und Antoine, der von hinter den Kulissen seine eigenen Ziele verfolgt und dabei noch seine Beziehung zu Margot retten will.Der Effekt ist aber nicht nur Kurzweiligkeit, sondern ein Reflektieren über die Wirkung von Film und Fiktion selbst. Wie stark bestimmen wir unser Leben, unser Lieben durch das, was wir uns erzählen? Wie stark lassen wir uns reinziehen in bestimmte Fiktionen und wie schwer fällt es, uns daraus auch wieder zu lösen ? solche Fragen stellt der Film in seiner Erzählung über das Ineinanderwirken von Vergangenheit und Gegenwart, über die Konfrontation von Jugend und Alter, erinnertem und erlebtem Ich. Ein kritischer Einwand der Jury bezieht sich auf die doch eher konventionell-glücklicheAuflösung und die überwiegend traditionell-männlich-(weiße!) Perspektive. Nichtsdestotrotz und aufgrund der eindeutigen Qualitäten des Films verleiht die Jury gerne das Prädikat ?besonders wertvoll?.



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