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FBW-Bewertung: Can You Ever Forgive Me? (2018)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Es ist schon große Kunst, wenn im Film aus einem an sich eher unausstehlichen Charakter eine berührende Figur entsteht. Und es beweist großes Können, wenn eine Schauspielerin, die als Ulknudel weltbekannt ist, als Hauptdarstellerin in einem Drama vollauf überzeugen kann. Beides ist in CAN YOU EVER FORGIVE ME?geglückt. Regisseurin Marielle Heller hat für die Hauptrolle des Dramas Melissa McCarthy gewinnen können. Die hierzulande vor allem aus völlig überdrehten Actionkomödien bekannte Schauspielerin erweist sich als Idealbesetzung für die Hauptrolle der Schriftstellerin Lee Israel.

Aber CAN YOU EVER FORGIVE ME? als Drama zu bezeichnen, trifft den Nagel auch nicht wirklich auf den Kopf. Die Verfilmung der Memoiren Lee Israels ist eher eine charmant-melancholische Tragikomödie, in der McCarthy mit ihrer herzlich-rauen Art glänzen kann. Als Schriftstellerin Lee Israel Anfang der 1990er Jahre keine Unterstützung mehr von ihrem Verlag bekommt, verfällt sie in eine schwere Krise. In dem Maße, wie ihr Kontostand sinkt, steigt ihr Alkoholpegel. Israel ist pleite, desillusioniert, aggressiv und misanthropisch. Der einzige Freund ist JackHook, ein tuntiges Faktotum, das sich mit dem Verkauf von Drogen über Wasser hält. Durch einen Zufall erfährt Lee Israel, wie wertvoll Autographen, also von Prominenten geschrieben Briefe, sein können. Israel nutzt ihr schriftstellerisches Können, verfasst pikante Schreiben, fälscht Unterschriften und kommt endlich wieder zu Geld. Aber das Geschäftsmodell bringt das FBI auf den Plan.

Buchhändler, Antiquariate, Schreibmaschinen. CAN YOU EVER FORGIVE ME? ist ein auf wunderbare Art altmodischer Film. McCarthys Lee Israel wirkt darin wie ein fester Bestandteil einer Welt, die wie sie längst vom Untergang gezeichnet ist. Völlig elegant, sanft und reibungslos, völlig smooth scheint dieHandlung ausgearbeitet zu sein und in der Tat müssen Zuschauer schon nach Ecken und Kanten suchen, an denen sie sich reiben können. Aber sie sind da: CAN YOU EVER FORGIVE ME? ist eine cineastische Perle, die aus einer Zeit zu berichten scheint, in der Menschen noch Persönlichkeiten sein konnten,stolz auf alle kleinen und größeren Macken die sie eben ausmachen. Israel Begleiter Jack Hook ist ein glänzendes Beispiel dafür. Der Brite Richard E. Grant verkörpert ihn als genauso charmanten wie manipulativen Mann, der versucht, jeder noch so schäbigen Gelegenheit etwas Positives abzutrotzen, sei es ein Dollar oder eine schnelle Nummer.

Grant und McCarthy sind zweifellos geniale Schauspieler. Dass sie aber so brillant miteinander funktionieren, ist zumindest zum Teil der hervorragenden Schauspielführung Marielle Hellers zu verdanken. Überhaupt zeigte sich die Jury in der Diskussion von deren Befähigung zutiefst beeindruckt. Ihr Film ist nicht nur ein hervorragendes Biopic, sondern auch ein Film, der einer genauso bigotten wie elitären Literaturszene kräftige Seitenhiebe erteilt. Ihr CANYOU EVER FORGIVE ME? lässt die Zuschauer die schrullige Lee Israel nicht nur begreifen, sondern gar mit ihr fühlen. Bis zum Schluss bleibt sie depressiv, bis zum Schluss ohne Befreiung, das aber lässt sich durchaus aushalten.

Heller packt all das in ein prächtig gefilmtes und ziemlich angeranztes New York, das - unterlegt mit jazzigem Score ? auch ein wenig wie aus Woody Allens Filmen wirkt. Und dazu arbeitet sie mit markant-schrulligen Charakteren, die sicherlich in Erinnerung bleiben.



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