FBW-Bewertung: Nachlass - Passagen (2017)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Der Dokumentarfilm NACHLASS widmet sich anhand von Zeugeninterviews aus unterschiedlichen Generationen der Aufarbeitung der Verbrechen des Holocaust während der Nazizeit aus der Perspektive von Täter- und Opferfamilien. Dabei wird deutlich, wie sich das Trauma beider Gruppen, Opfer und Täter, auch zwei Generationen später nicht verflüchtigt hat, sondern subtil weitergegeben wird.Formal arbeitet der Film mit unkommentierten Impressionen einer Ausstellung im Entstehen: in der Konzentrationslager-Gedenkstätte Buchenwald. Und wir erleben eine Führung durch die Berliner Ausstellung?Topographie des Terrors? mit der israelischen Historikerin Adi Kantor. Dazu kommen Nachfahren von SS-Tätern, die unterschiedlich mit diesem Nachlass umgehen, als Künstler, als Filmemacher oder als Aktivisten.
Formalüberzeugt der Dokumentarfilm mit einem dezenten, aber sehr atmosphärischen Musikeinsatz, der sich mit den oft meditativ-ruhigen visuellen Impressionen ergänzt. Trotz minimalistischer Technik kann der Film so einen eigenen, genuinen Filmemacherstandpunkt zum Thema verdeutlichen, der neben den geäußerten Meinungen steht und den Zuschauer zur Stellungnahme herausfordert. Er ist so involvierend, stellt persönliche Fragen, u.a. danach, was das letztlich mit uns zu tun hat. NACHLASS ist auf diese Weise auch selbstreflexiv in der Wahl seiner filmischen Mittel. Dabei vermeidet er den ethischen Imperativ, der bei dem Thema möglicherweise nahe gelegen hätte.
NACHLASS löste eine intensive Diskussion in der Jury aus, denn fraglich ist, wie breit das Publikum hier angelegt ist. Wer soll den Film letztlich sehen? Kritisiert wurde, der Film sei etwas unausgewogen in der Auswahl der Personen und in der Platzierung von unterschiedlichem Filmmaterial. Andere Stimmen sprachen von einer offenen Komplexität des Films, die gerade als Vorzug zu werten sei. Wichtig erscheint der in den Film hineingebrachte Zuschauerstandpunkt, der möglicherweise einen fruchtbaren Zugang zum Film ermöglicht.
Nach kontroverser Diskussion hat die Jury mehrheitlich folgendes Prädikat vergeben: besonders wertvoll.
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)