FBW-Bewertung: Lara (2019)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Von einem Tag im Leben einer Frau wird hier erzählt. Es ist der 60.Geburtstag von Lara, und der Film beginnt damit, dass sie sich morgens in ihrer Wohnung aus dem Fenster stürzen will. Wer diese Frau ist, wird hier mit einer bewundernswerten Tiefe und Komplexität offenbart. Auf einer Ebene ist dies dem bemerkenswerten Drehbuch geschuldet, indem Bla? Kutin geschickt mit den Informationen, die er dem Publikum gibt, haushält, sodass Spannung zuerst dadurch entsteht, dass die Zuschauer verstehen wollen, warum diese Frau sich so seltsam benimmt und warum sie so ruppig und scheinbar rücksichtslos mit ihren Mitmenschen umgeht. Wie beim Schälen einer Zwiebel werden immer mehr Schichten ihrer Persönlichkeit deutlich, und dabei fließt der Erzählfluss so stark und natürlich, dass der Zuschauer ihm ständig mit zunehmender Faszination folgt. Jede Einstellung ist handlungstreibend, und es ist spürbar, wie gut sich Kutin in den Milieus auskennt, von denen er da erzählt. Zuerst scheint dies der etwas miefige Lebensbereich der städtischen Verwaltung zu sein, doch einzelne, geschickt gesetzte Hinweise (das fehlende Klavier in der Wohnung, das ?Klimpern? des Sohnes, das der Nachbar nicht mehr hört) deuten darauf hin, dass hier vor allem von Musikern erzählt wird, genauer gesagt von Virtuosen des klassischen Pianos. Davon wie sie ausgebildet werden, wie sie sich als Künstler durchsetzen oder scheitern und wie die ständige Angst vor eben jenem Scheitern ihr Leben bestimmt. Jan-Ole Gerster hat sich diese Geschichte gänzlich zu Eigen gemacht, und so gelingt ihm eine in allen Details und den vielen verschiedenen Stimmungen, die der Film heraufbeschwört, intensive und inspirierte Inszenierung. Da gibt es keinen falschen Ton, und obwohl seine Protagonistin nie um die Sympathie des Publikum buhlt, kommt man ihr im Laufe des Films sehr nah und versteht, wie großs ihr Schmerz sein muss, wenn man mit ihr erkennt, warum sie solch ein falsches Leben gelebt hat. Corinna Harfouch spielt hier eine ihrer wichtigsten, wenn nicht die bisher größste Rolle ihres Lebens. Sie ist in jeder Einstellung des Films zu sehen und spielt sämtliche Sequenzen mit einer grandiosen Energie und Intensität. Man glaubt ihr, dass Lara, so wie sie sie verkörpert, mit einem einzigen Wort das Selbstbewusstsein ihres Sohnes so erschüttern kann, dass dieser sich kaum traut, die Chance seines Lebens, nämlich die Uraufführung einerseiner Kompositionen, wahrzunehmen. Diese Frau scheint alles durchschauen zu können, während ihr eigenes Leben sich für sie als ein riesiger blinder Fleck erweist, und genau dieses Dilemma bildet den tragischen Kern des Films.Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)