FBW-Bewertung: Es war einmal in Deutschland... (2016)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Die Verfilmung des Romans?Die Teilacher? von Michel Bergmann durch Sam Garbarski überzeugt die Jury sowohl künstlerisch als auch inhaltlich. Der belgische Filmemacher entschied sich gegen die Klammer der Vorlage, das Schicksal des Kaufmanns David Bermann nach dessen Tod in puzzleartigen Rückblenden zu erzählen. DerFilm konzentriert sich auf die Nachkriegszeit, in der Beermann und sechs weitere Überlebende der Shoah in Frankfurt am Main einen Neuanfang suchen, und dessen Erlebnisse im Dritten Reich.In ihren Träumen sind die Männer bereits in Palästina oder den USA. Der Witzerzähler Bermann, dem seine Kunst im KZ das Leben rettete, mag heute keine Witze mehr reißen. Aufgrund seiner irren Lebensgeschichte verdächtigt ihn die amerikanische Militäradministration, ein Kollaborateur zu sein. Regelmäßig wird er zur Befragung bei der attraktiven CIA-Agentin Sara Simon vorgeladen, die mit ihren Eltern 1933 aus Deutschland fliehen konnte. Sie glaubt ihm kein Wort, wenn er in Rückblenden vom Überleben im KZ und auf dem Obersalzberg berichtet.
Die Verhöre beeinträchtigen Bermanns Engagement im eigenen Business. Um das Geld für einen/den beruflichen Neustart zu mehren, baut der einstige Kompagnon des ersten Hauses für Kurzwaren und Wäsche in Frankfurt mit mehreren Schicksalsgenossen einen florierenden Wäschehandel auf. Die schrecklichen Erlebnisse jedes Einzelnen klingen im Laufe der Handlung kurz an. Da sie aus verschiedenen europäischen Ländern stammen, wird die internationale Dimension des Holocaust deutlich.
Nur einmal holt einen der Männer die Vergangenheit ein. In einem Zeitungsverkäufer erkennt er einen ranghohen Nazi, der in seiner ungarischen Heimatstadt Hunderte Juden in einer Synagoge verbrennen ließ. Das weckt in allen den unterdrückten Schmerz und die Schuldgefühle. Sie leiden, weil sie im Gegensatz zu Familienangehörigen, Nachbarn und Freunden überlebt haben. Andererseits wollen sie nicht länger Opfer sein. Optimistisch nehmen sie ihr Geschick in die eigene Hand.
Garbarski und Bergmann wissen genau, wovon sie sprechen. Beide sind in Familien hineingeboren, die nach dem Holocaust in Deutschland blieben. Deren Kinder fragten:?Warum wolltet ihr unter den Mördern leben??
Der Regisseur setzt auf bissigen, hintergründigen Witz in einem beeindruckenden Werk. Wie sein großes Vorbild ES WAR EINMAL IN AMERIKA wirft er einen nostalgisch-verklärten Blick in die Vergangenheit und pendelt geschickt jederzeit passend zwischen leiser Komödie und emotional berührender Tragödie. Er beschwört in seinem handwerklichsoliden Drama die Atmosphäre im Deutschland der Nachkriegszeit perfekt, als sich viele Deutsche mit den Überlebenden der Konzentrationslager konfrontiert sahen, die sie an das eigene Versagen erinnerten. Dieser Aspekt der Geschichte klang im deutschen Film nur selten an, einzig Christian PetzoldsPHOENIX sah die Jury als Referenzfilm.
Der Film wird von einem exzellenten Schauspielerensemble getragen, sie bringen die psychischen Belastungen der Vergangenheit ebenso wie Momente der Verzweiflung und die Hoffnung auf die zweite Chance auf den Punkt. Moritz Bleibtreu ragt als Bermann heraus, auf ihn konzentriert sich die Handlung. Der deutsche Star liefert eine der besten Performances seiner mittlerweile 20-jährigen Karriere. Der Zuschauer nimmt ihm das geschäftstüchtige Schlitzohr und den Schlawiner Bermann, der still mit seinen eigenen Dämonen und Schuldgefühlen kämpft, einfach ab.
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)