Bolschoi Babylon (2016)
Das Ballett des Moskauer Bolshoi-Theaters genießt Weltruhm und gehört zu den besten der Welt. Für Aufruhr sorgte ein Säure-Attentat auf den künstlerischen Leiter im Jahre 2013. Die Doku "Bolshoi Babylon" blickt hinter die Kulissen des traditionsreichen Hauses.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Es ist das angesehenste Tanztheater Russlands und entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: das Bolshoi-Theater in Moskau. Das jeweils aktuelle Ballett am Bolshoi gehört stets zu den besten der Welt, die Star-Tänzerinnen und -Tänzer sind weltbekannt und touren das ganze Jahr über, auch außerhalb Europas. Die Liste der berühmten Persönlichkeiten, die dort bereits Theater-Aufführungen von Weltrang genossen, ist lang: von Josef Stalin über Richard Nixon und Ronald Reagan bis hin zu Margaret Thatcher. Doch seit jeher toben – wie bei vielen großen Opern- oder Theaterhaus – Schaukämpfe, Neid und Streitigkeiten um Positionen und Rollen hinter den Kulissen. Diese Erfahrung musste keiner so schmerzlich machen wie der ehemalige Leiter des Bolshoi-Balletts, Sergei Filin. Eines Abends wurde er von einer vermummten Gestalt vor seinem Haus überrascht und fiel einem Säure-Attentat zum Opfer. Er erlitt schwerste Verätzungen an Augen und Gesicht. Die Doku "Bolshoi Babylon" rückt diesen Vorfall ins Zentrum, blickt aber auch hinter die Kulissen des Theaters.
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Filmkritik
Kurz nach dem Attentat im Jahre 2013, begann Regisseur Nick Read mit der Produktion seiner Dokumentation. Er verfasste auch das Drehbuch. Der Name des Films ist angelehnt an die Stadt Babylon und deren Sündenpfuhl-"Image", das ihr die Bibel anlastete. Zum ersten Mal überhaupt gestatte man es einem Filmteam, mit Kameras Einblicke in Proben, Einzelcoachings und die Hinterzimmer der großen Bühne, zu erhalten. Seine Weltpremiere erlebte der Film auf dem letztjährigen Toronto-Filmfestival. Aktuelle wie frühere Mitglieder und Tänzer der Kompanie geben ihre Eindrücke vom Innenleben des Bolshoi wieder, so z.B. die berühmte Tänzerin Maria Alexandrova, der Balletdirektor Vladimir Urin und die Hauptfigur des Films, Sergei Filin.
Zwar wagt Regisseur Read in "Bolshoi Babylon" immer wieder auch den Blick zurück in die Geschichte, weist auf Zeit und Umstände des Entstehens hin und zeigt (in erschreckend schlechter Qualität vorliegende) Archivaufnahmen aus den 50er- bis 80er-Jahren, als die Polit-Prominenz scheinbar Stammgast in diesen heiligen russischen Hallen war. Doch von vornerein ist klar, dass es hier mit Nichten um eine nüchterne, objektive Abhandlung und Beschreibung einer der geschichtsträchtigsten Tanzkompanien der Welt geht. Vielmehr versucht Read zu zeigen, wie hoch der Grad an Intrigen und Missgunst hinter dem großen, roten Vorhang ist und wenn das Scheinwerferlicht ausgeht.
Bedrückend und beklemmend sind Stimmung und Atmosphäre nach dem Attentat unter den Tänzern bei den Proben und bei den Aufführungen, so soll man meinen, schließlich setzt der Film unmittelbar nach dem Anschlag an. Doch weit gefehlt: in den Proben, beim Individualtraining und natürlich auch bei den Aufführungen, ist nichts zu sehen, nichts zu spüren von der Unsicherheit und Angst der Mitarbeiter und Tänzer. Ein interviewtes Ensemble-Mitglied fasst ganz richtig zusammen: es ist eine Schein- und Glitzerwelt, die immer zu funktionieren hat. Vor dem Publikum und auf der Bühne muss freudestrahlend gelacht, hinter den Kulissen und nach einer erfolgreichen Show darf dann geweint und gelitten werden – nur interessiert es dann keinen mehr. Die macht vor allem auch eine Szene im Film deutlich, bei der eine Tänzerin unter Tränen von der Ungeheuerlichkeit des Attentats spricht und dass "in der Welt der Kunst" überhaupt so etwas möglich sei. Die Bolshoi-Oberen hätten sicher am liebsten ein nüchternes, neutrales Interview ihrer Tänzerin gesehen, doch hier, an einer der wenigen Stellen des Films, brechen sich die Gefühle Bahn.
Die Szenen von den intimen Proben und die Impressionen hinter den Kulissen sind spannend mit anzusehen und zeugen davon, wie akribisch, ambitioniert und hochprofessionell die Tänzer agieren, ja agieren müssen. Fehler werden nicht verziehen, der Druck ist immens. Ein weibliches Kompanie-Mitglied bringt es auf den Punkt: "Ich habe meiner Tochter gesagt: werde keine Tänzerin." Ein wenig schade ist, dass der Film nicht noch stärker auf die Rolle von Vater Staat, des kommunistischen und später demokratischen Russland, eingeht. Schließlich geht es hier um Russlands absolutes Elite- und Vorzeige-Tanztheater. Die Obrigkeit, Fleiß, Gehorsam und Disziplin sind alles. Die Leiden und Probleme des Einzelnen hingehen nichts. Fast so wie es im ganzen Land, im Alltag der Menschen, unter Putin der Fall ist.
Sorgfältig und allumfassend beleuchtet der Film auch die Umstände und Hintergründe des Säureattentats. Interviews mit dem gebrochenen Filin – wenige Tage danach im Krankenbett aber auch Monate später bei einer Pressekonferenz – verdeutlichen, wie sehr nicht zuletzt auch der seelische Schmerz wiegt. Als Drahtzieher wurde später ein interner Bolshoi-Konkurrent und Star-Tänzer ausgemacht.
Fazit: Intrigen, Ängste, Attentate: Die spannende Doku "Bolshoi Babylon" vermittelt einen seltenen, intimen Einblick hinter die Kulissen des berühmtesten Tanztheaters Russlands und greift inhaltlich ausgereift sowie sorgfältig das Säureattentat auf den künstlerischen Leiter auf.
Zwar wagt Regisseur Read in "Bolshoi Babylon" immer wieder auch den Blick zurück in die Geschichte, weist auf Zeit und Umstände des Entstehens hin und zeigt (in erschreckend schlechter Qualität vorliegende) Archivaufnahmen aus den 50er- bis 80er-Jahren, als die Polit-Prominenz scheinbar Stammgast in diesen heiligen russischen Hallen war. Doch von vornerein ist klar, dass es hier mit Nichten um eine nüchterne, objektive Abhandlung und Beschreibung einer der geschichtsträchtigsten Tanzkompanien der Welt geht. Vielmehr versucht Read zu zeigen, wie hoch der Grad an Intrigen und Missgunst hinter dem großen, roten Vorhang ist und wenn das Scheinwerferlicht ausgeht.
Bedrückend und beklemmend sind Stimmung und Atmosphäre nach dem Attentat unter den Tänzern bei den Proben und bei den Aufführungen, so soll man meinen, schließlich setzt der Film unmittelbar nach dem Anschlag an. Doch weit gefehlt: in den Proben, beim Individualtraining und natürlich auch bei den Aufführungen, ist nichts zu sehen, nichts zu spüren von der Unsicherheit und Angst der Mitarbeiter und Tänzer. Ein interviewtes Ensemble-Mitglied fasst ganz richtig zusammen: es ist eine Schein- und Glitzerwelt, die immer zu funktionieren hat. Vor dem Publikum und auf der Bühne muss freudestrahlend gelacht, hinter den Kulissen und nach einer erfolgreichen Show darf dann geweint und gelitten werden – nur interessiert es dann keinen mehr. Die macht vor allem auch eine Szene im Film deutlich, bei der eine Tänzerin unter Tränen von der Ungeheuerlichkeit des Attentats spricht und dass "in der Welt der Kunst" überhaupt so etwas möglich sei. Die Bolshoi-Oberen hätten sicher am liebsten ein nüchternes, neutrales Interview ihrer Tänzerin gesehen, doch hier, an einer der wenigen Stellen des Films, brechen sich die Gefühle Bahn.
Die Szenen von den intimen Proben und die Impressionen hinter den Kulissen sind spannend mit anzusehen und zeugen davon, wie akribisch, ambitioniert und hochprofessionell die Tänzer agieren, ja agieren müssen. Fehler werden nicht verziehen, der Druck ist immens. Ein weibliches Kompanie-Mitglied bringt es auf den Punkt: "Ich habe meiner Tochter gesagt: werde keine Tänzerin." Ein wenig schade ist, dass der Film nicht noch stärker auf die Rolle von Vater Staat, des kommunistischen und später demokratischen Russland, eingeht. Schließlich geht es hier um Russlands absolutes Elite- und Vorzeige-Tanztheater. Die Obrigkeit, Fleiß, Gehorsam und Disziplin sind alles. Die Leiden und Probleme des Einzelnen hingehen nichts. Fast so wie es im ganzen Land, im Alltag der Menschen, unter Putin der Fall ist.
Sorgfältig und allumfassend beleuchtet der Film auch die Umstände und Hintergründe des Säureattentats. Interviews mit dem gebrochenen Filin – wenige Tage danach im Krankenbett aber auch Monate später bei einer Pressekonferenz – verdeutlichen, wie sehr nicht zuletzt auch der seelische Schmerz wiegt. Als Drahtzieher wurde später ein interner Bolshoi-Konkurrent und Star-Tänzer ausgemacht.
Fazit: Intrigen, Ängste, Attentate: Die spannende Doku "Bolshoi Babylon" vermittelt einen seltenen, intimen Einblick hinter die Kulissen des berühmtesten Tanztheaters Russlands und greift inhaltlich ausgereift sowie sorgfältig das Säureattentat auf den künstlerischen Leiter auf.
Björn Schneider
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Besetzung & Crew von "Bolschoi Babylon"
Land: GroßbritannienJahr: 2016
Genre: Dokumentation
Länge: 86 Minuten
Kinostart: 21.07.2016
Regie: Nick Read, Mark Franchetti
Darsteller: Maria Alexandrova, Maria Allash, Sergei Filin, Anatoliy Iksanov als Himself, Anastasiya Meskova
Kamera: Nick Read
Verleih: polyband
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