FBW-Bewertung: Gleißendes Glück (2016)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Früher, als Helene Brindel (Martina Gedeck) noch an Gott glaubte, war alles gut. Doch seitdem sie ihren Glauben verloren hat, ist nichts mehr so wie zuvor. Nachts wacht sie auf und findet nicht mehr zurück in den Schlaf, sie geistert dann durch das Haus, richtet das Brot und den Saft für ihren Mannund schläft erst gegen Morgen wieder ein. Und ihr Gatte zeigt wenig Verständnis für das Verhalten seiner Frau - für das frühere, das von einer tiefen Frömmigkeit geprägt war, ebenso wenig wie für das jetzige. Die Spannung zwischen den beiden Eheleuten ist mit den Händen zu greifen. Und manchmal bricht es aus dem Mann (kongenial verkörpert von Johannes Krisch) hervor und entlädt sich in gewalttätigen Übergriffen gegen seine leidende Frau. Bis die ehemals fromme Helene eines Tages einen Radiobeitrag über den Gehirnforscher Eduard E. Gluck (Ulrich Tukur) hört, der mit seiner ?neuen Kybernetik? verspricht, dass jede/r seines Glücks Schmied sein kann und dass sich das Gehirn umprogrammieren lässt wie ein Computer. Also macht sie sich unter einem Vorwand auf nach Hamburg, wo Gluck gerade einen Vortrag hält und spricht den Wissenschaftler mutig an. Zwischen den beiden entsteht eine Verbindung, die Helene schließlich zurück führt in ein neues Leben. Doch auch Gluck ist eine leidende Seele ?Auch wenn GLEISSENDES GLÜCK im Grunde schwere und auch düstere Fragen über menschliche Abgründe und das Ringen um die eigene Identität und die Autonomie verhandelt, so löst dieser Film für den Zuschauer das ein, was der Titel verspricht: ?Gleißendes Glück?. Das liegt an vielen Faktoren - zuvorderst an den durchweg exzellenten Schauspielern, bei denen neben Martina Gedeck und Ulrich Tukur vor allem Johannes Krisch als gewalttätiger Ehemann hell leuchtet.
Auch die Ausstattung ist mehr als gelungen: Obwohl der Film eindeutig in der Gegenwart verortet ist, fühlt man sich immer atmosphärisch wieder auf die 1950er und 60er Jahre verwiesen, auf eine bleierne Zeit also, in der Rollenbilder und Glaubensfragen eine ähnliche Dringlichkeit besaßen wie in dem Film selbst.
Beeindruckend beispielsweise, wie Sven Taddicken den finalen Gewaltausbruch im Hause Brindel inszeniert: Der Zuschauer wird Zeuge einer stummen Tat, aus der die Menschen subtrahiert zu sein scheinen. In SloMo-Tableaus sehen wir nur, wie die Gegenstände umherfliegen, die Möbel zu Bruch gehen, das Glas splittert, nicht aber die Handelnden selbst - eine Szene von irritierender Intensität, die wieder einmal daran erinnert, wie subtil und wirkungsvoll Gewalt inszeniert werden kann, ohne erbarmungslos draufzuhalten.
Aufgrund der Schonungslosigkeit, mit der Sven Taddicken seine Geschichte vorträgt und auch wegen einiger durchaus ambivalenter Wendungen wie etwa dem finalen Opfergang Helenes, der Erinnerungen an Lars von Triers Film BREAKING THE WAVES hervorruft, besitzt der Film durchaus das Potenzial, sein Publikum zu spalten und aufzurütteln. Doch genau hierin besteht seine besondere Qualität, die den Film weit über das Niveau ähnlicher Werke heraushebt. Ein Glücksfall!
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)