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FBW-Bewertung: Judgment - Grenze der Hoffnung (2015)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Der Film des Bulgaren Stefan Komendarev ist eine Tragödie im klassischen Sinn. Hier geht es um Schuld, Sühne, Vergebung und Erlösung, um die Schatten der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart reichen. Im Mittelpunkt steht Mityo, ein Mann von Mitte vierzig, der seinen halbwüchsigen Sohn Vasko nach dem Tod der Mutter alleine aufzieht. Als Mityos Arbeitsplatz als Milchtransportfahrer im Zuge der Wirtschaftskrise in Bulgarien verloren geht und Mityo seine Bankkredite nicht mehr abzahlen kann, droht der existenzielle Ruin. In seiner Hoffnungslosigkeit lässt Mityo, der auch verzweifelt um den Respekt seines vom ihm enttäuschten Sohnes kämpft,sich auf einen gefährlichen Job ein. Sein früherer vorgesetzter Offizier aus seiner Dienstzeit als Grenzsoldat verdingt ihn als Menschenschmuggler, der Flüchtlinge aus Syrien und Afrika über die bulgarische Grenze in die EU bringen soll. Zum entscheidenden Schauplatz für das Drama wird eine Stelle im Gebirge, die ?Judgment? heißt und wo einst Mityo Schuld auf sich geladen hat. Dieser Ort war schon in alten Zeiten eine Hinrichtungsstätte, wie der ehemalige Kapitän konstatiert, ein geschickt platzierter Verweis des Drehbuchs auf die jahrtausende alte Kulturgeschichte Bulgariens, woeinst Griechen und Römer, später die Osmanen und viele andere Völkerschaften, ihre Spuren hinterlassen haben.
Vor der gewaltigen und imposanten Kulisse der bulgarischen Bergwelt vollzieht sich ein Drama, in dem es neben Mityos Schuld vor allem auch um seine Beziehung zu seinem Sohn geht, der immer wieder an seinem Vater zweifelt, ihn aber dennoch nie endgültig aus seinem Leben verbannt. Vasko erlebt gerade seine erste Liebe zu einem gleichaltrigen Mädchen, dessen Mutter, wie so viele Bulgaren in diesen harten Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs, ihr Land verlassen hat. Zu den schönsten Szenen des Films zählt ein Dialog zwischen den beiden Jugendlichen über ?Gottes größtes Geschenk?. Das Mädchen meint, dass Tränen das größte Geschenk seien, die den Kummer weg waschen, und auch das Vergessen sei eine Gottesgabe. Aber das Vergessen kann erst nach der Vergebung einsetzen. Und dies betrifft wiederum den Vascos Vater Mityo, der versucht hat, seine Schuld zu vergessen, was ihm aber nicht gelingt.
Unaufhaltsam steuert die Handlung auf die letzte Auseinandersetzung zwischen Mityo, den seit mehr als 20 Jahren seine Schuldgefühle wie die antiken Rachegeister quälen, und seinem sadistischen früheren Vorgesetzten zu. Selbst das Flüchtlingsdrama wirkt in diesem Zusammenhang eher als ein Nebenstrang der Handlung. Das Ende des Films ist keine Überraschung, doch in seiner Konsequenz logisch und berührend, da Mityo endlich Vergebung und Erlösung findet.
Der Film hat einige kleinere Schwächen, darunter Momente, die an Aufsätze aus Schulbüchern zum Thema Land und Leute erinnern oder auch die an einigen Stellen allzu dick aufgetragene Charakterisierung des Kapitäns als bitterbösen Schurken und somit als Gegenpol zum liebenswert schwachen Mityo. Dennoch überzeugen in dem Drama,das auch die gegenwärtige oftmals triste Situation in Bulgarien zeigt, viele kleinere Nebenhandlungen. Bespielsweise wie Mityo seine Nachbarin , die sich aus ihrer kinderlosen Ehe in die Bergeinsamkeit des Grenzdorfes geflüchtet hat, als ?unfruchtbare Frau? verschmäht. Oder auch die Einblickein das Miteinander in dieser von der großen Welt abgeschiedenen Gemeinschaft. Zudem fängt die Kamera von Krasimir Andonov in stimmungsvollen Bildern die Urgewalt der Berge und der rauen Natur ein, aber auch die Einsamkeit und den Verfall einer einst blühenden Kulturlandschaft, von der noch heutedie Überreste alter Holzkirchen und die von Wind und Wetter gebleichten Ikonen zeugen. Die Musik von Stefan Valdobrev fügt sich in die packende Handlung auf subtile und angemessene Weise. Ein insgesamt bemerkenswerter Film, der zudem ein Musterbeispiel ist für eine gelungene internationale Zusammenarbeit zwischen Bulgarien, Mazedonien, Kroatien und Deutschland.



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