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FBW-Bewertung: 45 Years (2015)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Einen Liebesfilm zu erzählen, in dem nicht junge ?knackige?, sondern reifere und erfahrenere Menschen zu sehen sind, ist an sich schon verdienstvoll. Andrew Haigh ist jedoch zudem noch ein brillanter Schauspieler-Film gelungen. Charlotte Rampling und Tom Courtenay spielen das Ehepaar Kate und Geoff Mercer mit beeindruckender Intensität und psychologischer Genauigkeit. Diese beiden erfahrenen Schauspieler zu führen, ist gewiss keine leichte Aufgabe. Dem Regisseur gelingt dies bravourös. Den Darstellern wird viel Raum und Zeit gelassen, um ihre Figuren zu entfalten. Sehr langsam bewegt sich entsprechend die Handlung voran. Die ist alles andere als uninteressant und perfekt auf eine Liebesgeschichte mit älteren Menschen zugeschnitten. Denn die plötzliche Nachricht, dass die erste große Liebe Geoffs tiefgefroren in den Schweizer Alpen gefunden wurde, wo sie vor mehr als 50 Jahren ums Leben kam, eröffnet mehrere lebensphilosophische Dimensionen. Narrativ entwickelt der Film daraus zwei Handlungsstränge: Geoff wird an seine Jugend und ein traumatisches Erlebnis erinnert. Dazu ist der Drang, in die Schweiz zu fliegen, um die ehemalige Liebe zu sehen, die noch so jung aussieht wie damals, groß. Kate beginnt daraufhin ihre Ehe infrage zu stellen, weil sie Zweifel daran bekommt, ob sie die wichtigste Frau im Leben Geoffs ist. Je mehr sie den Eindruck hat, dass Geoff die Nachricht allzu sehr mitnimmt, umso stärker wird ihre Angst, nur die zweite Wahl gewesen zu sein. Eine Angst, die fast krankhafte Züge annimmt.
Der Film erzählt langsam und kunstvoll, gerade weil er vieles nicht ausformuliert, sondern mehr in die Gesichter der Protagonisten einschreibt. Kunstvoll ist vor allem die metaphorische Verwendung des Klimawandels. Denn das Schmelzen des Eises ist der Grund, weswegen Geoffs alte Liebe Katya in den Alpen gefunden wurde. Geoff beginnt sich mit dem Thema zu beschäftigen und in einem Buch liest er, dass der Klimawandel seit langer Zeit ignoriert wird und mittlerweile nicht mehr rückgängig zu machen ist. Wurde in der Ehe auch lange Zeit etwas totgeschwiegen? Muss mit dem nun nicht mehr zu verleugnenden Wissen ein Neuanfang her, eine große Transformation, wie es in der Klimadebatte unter anderem gefordert wird? Das Paar fasst tatsächlich diesen Entschluss. Doch werden sie auch für einen Neuanfang in der Lage sein? Der Schluss des Films lässt auch dies offen, wenn Geoff und Kate auf ihrem Fest miteinander tanzen und wir in Kates resp. Ramplings Gesicht den Kampf mit dem Zweifel sehen. 45 YEARS bietet eine bis ins letzte Detail liebevolle Ausstattung, perfekt geschriebene Dialoge und ein Fest der Schauspielkunst, das man nicht verpassen sollte.



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