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FBW-Bewertung: Jonathan - ein Film von Piotr J. Lewandowski (2016)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Der 23-jährige Jonathan pflegt aufopferungsvoll seinen krebskranken Vater Burghardt und bewirtschaftet zusammen mit seiner Tante Martha den Bauernhof der Familie in einem abgelegenen Tal. Die Situation ist angespannt: dem Vater geht es zusehends schlechter, und er zieht sich immer mehr zurück. Mit seinerSchwester hat er seit Jahren nicht geredet, und auch den Bemühungen seines Sohnes und dessen Fragen nach dem frühen Tod seiner Mutter weicht er störrisch aus. Jonathan fühlt sich zunehmend überfordert, bis zwei Menschen in sein Leben treten, die alles verändern: Zunächst kommt zu seiner Entlastung die junge Pflegerin Anka, in die er sich sofort verliebt. Mit ihrer positiven Art und ihrer Hospiz-Erfahrung weist sie ihm einen anderen Zugang zur Krankheit seines Vaters. Dann taucht Ron, der verschollen geglaubte Jugendfreund des Vaters auf. Während Jonathan und Martha ihn als Eindringlingempfinden, lebt der Vater für kurze Zeit noch einmal auf. Dadurch enthüllt sich nicht nur ein Familiengeheimnis, sondern Jonathan wird auch klar, dass er seinen eigenen Weg finden muss.

Piotr J. Lewandowski geht in seinem Debütspielfilm ein großes Wagnis ein, indem er gleich zwei Tabuthemen anpackt: Sterben und verdrängte Homosexualität. Dabei beschränkt er sich auf wenige Charaktere und Drehorte und erreicht fast kammerspielartig große Intensität. Im Mittelpunkt steht der Titelheld Jonathan, ohne dass die übrigen Personen vernachlässigt werden. Der Prozess des Sterbens und Abschiednehmens wird mit großer Eindringlichkeit und Genauigkeit geschildert: Die zunehmende Hinfälligkeit des Vaters, der sich zurückzieht, mit seiner Krankheit hadert und sich einen Tod in Würde wünscht. Die Aufopferung des Sohnes, der seine Welt zusammenhalten und das Richtige tun will, und der mit Zorn und Verzweiflung reagiert, wenn der Vater die Medikamente nicht einnimmt oder seine Hilfe generell zurückweist. Die Verbitterung der Tante, die sich scheinbar aus allem heraushält, aber stets präsent ist. Die Sprachlosigkeit und latente Aggression zwischen den Familienmitgliedern. Der Film nimmt sich viel Zeit, die Situation auszuleuchten und hält dabei die Spannung konstant aufrecht. Lange Zeit bleibt unklar, worin das Geheimnis dieser Familie besteht. Erst die Neuankömmlinge Anka und Ron brechen die Enge der Konstellation auf und bringen wieder ?Leben? ins Haus. Damit verändert sich die Situation für alle Beteiligten und ermöglicht ihnen den enggültigen Abschied ? und Neubeginn.

Das Gerüst des Films bildet das mehrfach ausgezeichnete Drehbuch, das der Regisseur selbst verfasst hat. Es hat Originalität, Dichte und Spannung und überzeugt in Tonalität und Rhythmus. Die sparsamen Dialoge wirken nie hölzern oder peinlich. Auch thesenartige Sätze wie ?Wenn Du sterben willst, musst Du das Leben zulassen?, klingen in der entsprechenden Situation zutreffend und wahrhaftig. Das liegt auch an den hervorragenden Darstellern, die sehr körperlich agieren und ihren Charakteren selbst in extremen Gefühlslagen große Intensität und Glaubhaftigkeit verleihen. Die präzise Regie setzt sie entsprechend in Szene und schafft die Balance zwischen harten, realistischen und sehr intimen, anrührenden Szenen. Die atmosphärische Musik unterstreicht die Stimmung.

Maske und Ausstattung sind sehr gelungen, schaffen eine Szenerie, die die Abgeschiedenheit und Zeitlosigkeit des Geschehens unterstreicht. Die exzellente Kamera ist in ruhigen Bildern dicht bei den Protagonisten, wahrt aber auch die nötige Distanz in intimen und kritischen Momenten. Konzentriert sich das Geschehen zunächst auf die Innenräume, so weitet sich der Blick in der zweiten Hälfte mit einer Reise an die Nordsee, wo sich die beiden Männer wieder annähern, bis hin zur finalen Sterbeszene im Freien, die sehr berührend ist.

JONATHAN ist ein intensives Familiendrama, das am Ende des Lebens mit Lügen und Tabus aufräumt und allen Beteiligten die Möglichkeit zu Abschied und Emanzipation eröffnet.



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