FBW-Bewertung: Bonne nuit papa (2014)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Das Leben ihres Vaters erforschte Marina Kem, Autorin und Regisseurin vor allem nach dessen Tod, denn die Versuche, zu Lebzeiten etwasüber sein Heimatland und seine Jugend dort zu erfahren, scheiterten komplett. Papa blieb schweigsam, verschloss sein Inneres vor Frau und Töchtern. Ein früherer vergeblicher Versuch, den Marina unternimmt, indem sie mit Vater und Freund in die Heimat des Vaters, Kambodscha, reist, wird bald nachBeginn des Films erwähnt, auch kurz im Film zitiert, dann aber erst wieder im letzten Akt des Films erfolgreich aufgenommen.Typisch für den Film ist seine mäandernde Erzählweise, die mit vielen Fotos, aber auch anderem bewegten Archivmaterial ergänzt wird. An einigen Stellen finden sichauch illustrierende Animationen. Diese Materialfülle zeugt von intensiver Recherche, Phantasie und Hingabe ans Thema. Die sehr persönliche Erzählweise gibt dem Zuschauer die Möglichkeit, sehr nahe an den Vater heran zu kommen, so nahe, wie es Frau und Töchtern nicht mehr möglich war.
Mit Bildern der Familie aus Kambodscha, die bei späteren Reisen entstehen, wird auch die Fremdheit nochmals betont, die Jugend des Vaters wird beschrieben, seine Verwandten werden befragt. Ein weiteres Kapitel bemüht sich um die Darstellung des Krieges und streift auch die Schrecken des Pol Pot-Systems, das die Menschen und die Kultur Kambodschas so furchtbar zerstörte. Die Regisseurin setzt alle Ereignisse in Zusammenhang mit dem Vater und seinem Leben. Sie unterlässt es jedoch, Interpretationen und Vermutungen zu äußern, die beim Zusehen entstehen.
Der Film berührt besonders durch sein feinfühliges Eingehen auf die Suche der Tochter nach dem Wesen ihres Vaters. Weil er nicht sprach, glaubte sie, ein gemeinsamer Aufenthalt in seinem Heimatland werde seine Gefühle wecken und ihn ihr näher bringen. Doch das erwies sich als vergeblich. Erst vor seinem nahen Tod kamen sich Vater und Tochter näher, konnten miteinander sprechen. Deshalb kehrt der Film am Ende nochmals zurück zu den Bildern, die er schon am Anfang zeigt.
Ein weiteres schönes und berührendes Detail wird ganz nebenbei erzählt. Der Vater versuchte, seiner Tochter französisch beizubringen, die Sprache seiner Jugend. Doch wirklich gelernt hat die Tochter die Sprache leider nicht, geblieben ist ihr nur der allabendliche Gute-Nacht-Gruß ?Bonne Nuit Papa?.
Ob kulturelle Unterschiede oder persönliche Haltung, gesellschaftliche Gepflogenheiten oder politische Umstände, der Film lässt keine dieser Ursachen außer Acht. Er bleibt dabei gelassen und suchend, nimmt den Zuschauer auf seine Reise mit und lässt ihn ebenso an vergeblichen Versuchen teilhaben. Am Schluss bleibt ein Gefühl von Zärtlichkeit und Melancholie, Verständnis für die Suche und ihr Scheitern, obwohl sie dennoch sinnvoll und immer liebevoll war.
Der Regisseurin ist ein berührendes Portrait ihres Vaters und der Zeit gelungen, das bei allen zwangsläufigen Auslassungen so umfassend wie möglich ist. Damit erreicht sie über das Persönliche hinaus eine allgemein gültige, menschliche Dimension,die dem Film seine Qualität gibt.
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)