Das Venedig Prinzip (2012)
Deutsche Doku: Venedig wird jedes Jahr von Millionen an Touristen besucht, während die Einwohnerzahl kontinuierlich sinkt und das städtische Leben fast zum Erliegen gekommen ist. Der Film zeigt, was von der Lagunenstadt übrig geblieben ist...User-Film-Bewertung :Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben insgesamt 1 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Im letzten Jahr besuchten 20 Millionen Touristen die italienische Lagunenstadt Venedig - das sind 60.000 Besucher pro Tag. Die Einwohnerzahl der Stadt ist dagegen inzwischen auf 58.000 gesunken - so "viele" wie zuletzt nach der großen Pest im 15. Jahrhundert. Das urbane Leben Venedigs existiert kaum noch, nachts sind die Straßen wie ausgestorben. Die Dokumenation zeigt, was von Venedig übrig geblieben ist: auf der einen Seite Venezianer, die mangels bezahlbarem Wohnraum auf's Festland ziehen, ein Immobilienmakler, der ebenfalls darüber nachdenkt die Segel zu streichen und eine Adlige, die die Stadtverwaltung mit Hohn und Spott überzieht;auf der anderen Seite die touristische Infrastruktur: der auf seine Erweiterung wartende Hafen für monströse Kreuzfahrtschiffe und touristische Dienstleister...
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Besetzung & Crew von "Das Venedig Prinzip"
Land: DeutschlandJahr: 2012
Genre: Dokumentation
Länge: 82 Minuten
FSK: 0
Kinostart: 06.12.2012
Regie: Andreas Pichler
Kamera: Gesa Jäger, Bine Pufal, Caroline Leitner, Attila Boa, Sebastian Lipp
Verleih: Real Fiction
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DER TOURISMUSAuf den Schlachtfeldern des globalen Tourismus hat Venedig seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten einen festen Stellenwert, und die Tourismuszahlen stehen denen der [...mehr] Einwohner inzwischen diametral gegenüber: Vor zwanzig Jahren lebten noch 125.000 Menschen in der Stadt, heute sind es 58.000, und es werden jedes Jahr etwa 2.000 weniger. Die Menschen verlassen die Stadt und die Dagebliebenen bekommen kaum noch Kinder. Einer Studie zufolge wird es im Jahre 2030 keine Venezianer mehr geben.
Erst in den 80er Jahren wurden die Weichen für die heutige massentouristische Verwertung Venedigs gestellt. Heute entspricht der Jahresumsatz aus dem Tourismus von 1,5 Milliarden Euro dem von ganz Cuba oder dem vorrevolutionären Ägypten. Zwar gab es immer wieder auch Proteste dagegen, in deren Zug der Philosoph Massimo Cacciari mit einer breiten Mehrheit von Linksdemokraten, Grünen und Postkommunisten zum Bürgermeister gewählt wurde. Doch Venedig hat noch immer keine wirkliche Tourismusplanung, fast alles ist dem Wildwuchs überlassen. Selbst Regulierungen, die beispielsweise die schrankenlose Umwandlung von bezahlbarem Wohnraum in Bed&Breakfast-Betriebe verhinderten, wurden von der Verwaltung im Jahr 2000 aufgehoben. Seitdem ist die Zahl der Hotel- und Bed&Breakfast-Betten um mehr als das Doppelte gestiegen.
In die Stadt kommen jeden Tag durchschnittlich 65.000 Menschen als Touristen, mehr, als sie Einwohner hat, und in Spitzenzeiten sind es 400.000 pro Tag. Der größte Teil der Touristen besucht die Stadt nur einen Tag lang. Entweder weil man auf dem billigeren Festland wohnt, oder man kommt von einem der jährlich 1.400 Kreuzfahrtschiffe, die in Venedig eine Nacht lang anlegen und täglich 5.000 bis 10.000 Menschen in die Stadt gießen.
Es ist ein Tourismus der Monokultur, die dabei ist, alles andere zu ersticken, und der Gedanke dahinter ist simpel: jeder Mensch auf der Welt, der es sich nur irgendwie leisten kann, kommt einmal in seinem Leben nach Venedig, aber kaum jemand kommt mehrmals. So wird man bei diesem einen Mal so viel aus ihm herausholen wie möglich. Nachhaltigkeit ist in diesem Konzept nicht vorgesehen.
Von den im Tourismus erwirtschafteten 1,5 Milliarden Euro pro Jahr fließt nur der kleinste Teil in die kommunalen Kassen zurück, der dann dazu dient, die Müllmassen abzutransportieren, die die Besucherströme hinterlassen haben. Der Großteil bleibt bei den international agierenden Reiseanbietern.
Über tausend gigantische Kreuzfahrschiffe legen jedes Jahr in Venedig an und fahren dabei am San Marco Platz vorbei mitten durch die Stadt zum Hafen. (In den Hamburger Hafen kommen jährlich gerade einmal 70 solcher Schiffe.) Die Vibration der stehenden Motoren und die Schiffsschrauben der fahrenden Schiffe haben Folgen: Risse entstehen in Mauern und Brücken, Wasser dringt in die Mauern und macht sie porös. Der erhöhte, scharfe Wellengang wird aber nicht allein von den großen Schiffen erzeugt. Ganz allgemein herrscht auf den Kanälen Venedigs ein Motorverkehr, dem die alten Mauern nicht gewachsen sind. Denn die vielen zu Hotels umgebauten Wohnhäuser lösen wie die Restaurants einen immensen Lieferverkehr aus.
DIE INFRASTRUKTUR
Durch die Monokultur des Tourismus verschwinden so gut wie alle handwerklichen Arbeiten, soweit sie nicht mit dem Tourismus kompatibel sind. Bei den herrschenden Preisen ist es schwer, beispielsweise in seinem Beruf als einfacher Bootsbauer weiterzumachen, in dem man so eben seinen Unterhalt verdient. Das gilt auch für geistige Arbeit: man arbeitet entweder bei den für Besuchermassen konzipierten Kunstausstellungen oder als Fremdenführer.
Obwohl die Zahl der Einwohner ständig sinkt, steigen die Immobilienpreise weiter. Denn die Häuser werden gewerblich genutzt oder als Zweitwohnungen an Auswärtige verkauft. Diese Wohnungen stehen zwar meistens leer, treiben aber die Preise in die Höhe, sie liegen derzeit zwischen 6.000 und 12.000 Euro pro Quadratmeter.
Mit dem steten Sinken der Einwohnerzahlen und der touristischen Monokultur verschwinden Schritt für Schritt lebensnotwendige Infrastrukturen für die Bewohner. Öffentliche Märkte, Supermärkte, viele Arten von Geschäften des täglichen Bedarfs, auch die Kinos werden geschlossen. Die Erste-Hilfe-Station im Arbeiterviertel Santa Marta wurde dichtgemacht, viele Bewohner, vor allem junge Mütter, haben sich erfolglos über die problematische Situation der ärztlichen Versorgung beklagt, denn bis ein Rettungsboot hier ankommt, vergeht viel Zeit. Und im Krankenhaus San Giovanni e Paolo gibt es schon keine Entbindungsstation mehr.
Das Hauptpostamt von Venedig, der berühmte Palast "Fontego dei Tedeschi“ an der Rialto-Brücke wurde an den Benetton Konzern verkauft und sollte über alle Auflagen des Denkmalschutzes hinweg radikal umgebaut werden. Nach Plänen des Stararchitekten Rem Koolhaas soll darin ein Luxus-Shoppingcenter mit Aussichtsterrasse entstehen. Nach Monaten der internationalen und lokalen Proteste dagegen muss die Gemeinde inzwischen ihre Baugenehmigung neu bedenken.
DIE LETZTEN VENEZIANER
Nicht alle überlebenden Venezianer resignieren oder machen nur schimpfend ihre Geschäfte mit den Fremden. Die Kommunalregierung von Venedig hat im Laufe der 90er Jahre auf den Druck von unten hin immer wieder versucht, die Ströme der Touristen in irgendeiner Form zur regeln oder auch umzulenken. So wurde beispielsweise versucht, den Kreuzfahrtverkehr einzuschränken. Vergeblich, denn die Lobby des Kreuzfahrthafens und der Kreuzfahrtgesellschaften stemmt sich mit aller Macht dagegen. Ihr Argument: die Kreuzfahrtschiffe bringen der Stadt jeden Tag mehr als fünftausend Besucher. Dem schließen sich dann die Souvenirläden, die Pizzeriabesitzer und die Gondolieri an, da sie alle von den Passagieren dieser Schiffe in irgendeiner Form profitieren. In dieser Logik setzt sich stets das auf unmittelbaren Profit orientierte Interesse der Stärkeren durch.
Schon heute pendeln mehrere tausend Menschen jeden Morgen von Mestre auf dem Festland nach Venedig, um dort zu arbeiten. Als Zimmermädchen, Kellner, Gepäckträger und sogar als Gondolieri. Das eigentliche Venedig, das seiner Bewohner, seiner Infrastruktur, verlagert sich nach Mestre, die Stadt selbst wird zur Fassade, zum Freilichtmuseum, zum thematischen Vergnügungspark im Stile Disneylands, den Touristen überlassen.
„Venedig muss sich daran gewöhnen, ein Stadtteil von Mestre zu sein“, hat Bürgermeister Cacciari schon vor Jahren bei einer Pressekonferenz ganz nebenbei gesagt.