Der Verdingbub (2011)
Waisenkind Max träumt von einer echten Familie, landet aber nur bei Pflegeeltern, die ihn wie ein Arbeitstier behandeln und regelmäßig demütigen. Nur die Freundschaft zu Berteli, einem Mädchen mit ähnlichem Schicksal, hält ihn aufrecht...Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Der größte Traum von Waisenkind Max ist es, Teil einer "richtigen Familie" zu sein. Und tatsächlich scheint sich dieser Traum zu erfüllen: Max wird an die Familie Bösiger vermittelt. Doch statt Liebe und Anerkennung zu bekommen, wird er von seinen Pflegeeltern wie ein Arbeitstier behandelt und von deren Sohn Jakob aus Eifersucht gedemütigt. Das Handorgelspiel ist das einzige, was ihm niemand nehmen kann. Hier schöpft er Mut und das zum Überleben notwendige Quäntchen Selbstachtung.
Als eine neue Lehrerin aus der Stadt sein musikalisches Talent erkennt, darf Max sogar am lokalen Schwingfest vor der gesamten Gemeinde spielen. Das Glück ist allerdings nur von kurzer Dauer, denn Eifersucht und Missgunst sind stärker. Als die Lehrerin sich für ihn einsetzt, wird das Leben für Max noch schlimmer.
Das Einzige, was seinen Überlebenswillen erhält, ist die Freundschaft zu Berteli. Das Mädchen ist in einer nahe gelegenen Kleinstadt aufgewachsen, doch weil die verwitwete Mutter die Familie nicht ernähren kann, werden ihr die Kinder weggenommen und an Bauern verdingt. Mit Berteli träumt Max sich nach Argentinien, in eine Phantasiewelt, wo ausschließlich Fleisch gegessen wird und angeblich sogar die Heugabeln aus Silber sind.
Da schlägt die Brutalität ein weiteres Mal zu. Dank eines unerwarteten Verbündeten schafft Max die Flucht und macht sich auf, den Traum von Argentinien Wirklichkeit werden zu lassen; gerüstet mit seiner Handorgel und der Gewissheit: Da draußen, in der Welt, kann es nur besser werden.
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Filmkritik
Bis in die fünfziger Jahre wurden in der Scheiz Waisen-, Scheidungs- oder uneheliche Kinder an andere Bauernfamilien "verdingt"; über 150 Jahre waren "Verdingmärkte" Gang und Gebe. Es gehörte zur Tagesordnung, dass Kinder in sklavenähnliche Zustände gesteckt, vergewaltigt, wie Tiere misshandelt und ausgebeutet wurden. Meist bis in den frühen Tod. Erst ein im Jahre 2009 durch die Schweiz tourendes Projekt holte dieses dunkle Kapitel in der Geschichte der Schweiz wieder ans Tageslicht, und erst 2012 folgte eine formale Entschuldigung der verschiedenen Kantone. Inzwischen wird über finanzielle Entschädigung für über 100 000 Opfer gestritten.
Produzent Peter Reichenbach, Sohn eines Historikers, nahm sich des Themas an, suchte Förderer und Unterstützer zusammen und präsentierte bereits 2011 in der Schweiz den von Markus Imboden inszenierten Film "Der Verdingbub". Nun kommt Imbodens Film auch nach Deutschland.
Beim Thema Schuld kennt sich das deutsche Publikum bestens aus. Schließlich sind wir Deutsche mit unserem Lieblingsthema "Nazi-Vergangenheit" mit "Schuld" in all ihren Facetten bestens vertraut. Für die Schweiz aber ist das Thema Neuland.
"Der Verdingbub" schafft es, so authentisch wie glaubwürdig die schwierige Schuldfrage von dem klassischen Gut-Böse-Schema zu befreien und differenziert zu betrachten. Dabei positioniert sich Regisseur Imboden eindeutig und verurteilt nicht nur die Bauern, die ihre Verdingkinder missbrauchten und erniedrigten, sondern auch die schweizerischen Behörden, die nicht bereit waren, genauer hinzuschauen, sondern für Missbrauch lediglich Rügen erteilten oder den Bauern für fünf Jahre das Recht auf Verdingkinder entzogen.
Der Film beginnt mit dem Tod eines Verdingkindes, und schon hier zeigt sich die differenzierte Betrachtungsweise des Films, der die "Eltern" des toten Jungen zwischen Trauer und Ärger portraitiert, sie weder in die "Böse Großmutter-Schublade", noch in ein verharmlosendes Profil drängt. Im weiteren Verlauf festigt Imboden diese Differenzierung, wenn er die Bauernfamilie auf dem Schattenhof als eine Familie zeigt, die jeden Tag ums Überleben kämpfen muss. Ein totes Kalb hier, eine verrottete Ernte dort - das Leben in der Schweiz der Fünfziger erinnert hier mehr an das Mittelalter als an eine zivilisierte, aufgeklärte Gesellschaft.
Imboden entschuldigt jedoch keine Fehlleistung und Fehlentwicklung, sondern versucht sowohl für das Problem als auch seine (möglichen) Ursachen zu sensibilisieren. Zwar kommt der Film nicht an Charakterklischees vorbei – alkoholabhängiger Vater, schizophrene Mutter, verwahrloster Sohn, der sich ein wenig Zuneigung wünscht –, diese fallen aber nicht weiter ins Gewicht, da die Schauspieler ihre Charaktere sehr überzeugend spielen.
Besonders Katja Riemann als Rabenmutter verstärkt den differenzierten Charakter des Films: Riemanns Figur hat Sehnsucht nach einer eigenen Tochter, die sie in der jungen Berteli findet, welche sie immer wieder zu überreden versucht, sie liebevoll "Mutti" zu nennen. Gleichzeitig ist sie unbarmherzig streng und verhält sich irrational, so dass sie zwielichtig und schizophren wirkt.
Gleichzeitig zeichnet der Film auch das Porträt einer bildungsfernen Gesellschaftsschicht, die nicht viel mit Worten, dafür aber umso mehr mit Schlägen anfangen kann. Insgesamt besticht der Streifen durch seine sehr gute Schauspielerarbeit, die den brutalen Szenen Authentizität und den dramatischen Momenten subtile Atmosphäre verleiht. So wird die Schuldfrage bei aller Differenzierung mit der nötigen Bestimmtheit gelöst, aber nicht plakativ angeprangert.
Weiterhin profitiert der Film von einem sehr guten Setting sowie Requisiten und Kostümen, die eine trostlose und triste Stimmung etablieren. Kombiniert mit einer unaufdringlichen Inszenierungsarbeit entfaltet "Der Verdingbub" gerade zum Ende hin sein volles Potential, während er zu Beginn nur wie eine ordentliche TV-Produktion wirkte.
Doch die wahren Begebenheiten, die den Hintergrund der Geschichte bilden, machen den sehr gut gespielten Film nicht nur zu einem guten Drama, sondern auch zu einem für die Aufarbeitung in der Schweiz wichtigen und unangenehmen Zeitzeugnis über die Opfer der Verdingmärkte.
Fazit: Überzeugendes Drama über die Geschichte der Verdingkinder. das mit subtiler Inszenierung, tollem Setting, guter Ausstattung und Kostümen sowie überzeugendem Schauspielerensemble unter die Haut geht, dabei aber Abstand von der klassischen Schuldfrage nimmt und lieber mit einem differenziertem Blick auf das Thema punktet. Empfehlenswert!
Produzent Peter Reichenbach, Sohn eines Historikers, nahm sich des Themas an, suchte Förderer und Unterstützer zusammen und präsentierte bereits 2011 in der Schweiz den von Markus Imboden inszenierten Film "Der Verdingbub". Nun kommt Imbodens Film auch nach Deutschland.
Beim Thema Schuld kennt sich das deutsche Publikum bestens aus. Schließlich sind wir Deutsche mit unserem Lieblingsthema "Nazi-Vergangenheit" mit "Schuld" in all ihren Facetten bestens vertraut. Für die Schweiz aber ist das Thema Neuland.
"Der Verdingbub" schafft es, so authentisch wie glaubwürdig die schwierige Schuldfrage von dem klassischen Gut-Böse-Schema zu befreien und differenziert zu betrachten. Dabei positioniert sich Regisseur Imboden eindeutig und verurteilt nicht nur die Bauern, die ihre Verdingkinder missbrauchten und erniedrigten, sondern auch die schweizerischen Behörden, die nicht bereit waren, genauer hinzuschauen, sondern für Missbrauch lediglich Rügen erteilten oder den Bauern für fünf Jahre das Recht auf Verdingkinder entzogen.
Der Film beginnt mit dem Tod eines Verdingkindes, und schon hier zeigt sich die differenzierte Betrachtungsweise des Films, der die "Eltern" des toten Jungen zwischen Trauer und Ärger portraitiert, sie weder in die "Böse Großmutter-Schublade", noch in ein verharmlosendes Profil drängt. Im weiteren Verlauf festigt Imboden diese Differenzierung, wenn er die Bauernfamilie auf dem Schattenhof als eine Familie zeigt, die jeden Tag ums Überleben kämpfen muss. Ein totes Kalb hier, eine verrottete Ernte dort - das Leben in der Schweiz der Fünfziger erinnert hier mehr an das Mittelalter als an eine zivilisierte, aufgeklärte Gesellschaft.
Imboden entschuldigt jedoch keine Fehlleistung und Fehlentwicklung, sondern versucht sowohl für das Problem als auch seine (möglichen) Ursachen zu sensibilisieren. Zwar kommt der Film nicht an Charakterklischees vorbei – alkoholabhängiger Vater, schizophrene Mutter, verwahrloster Sohn, der sich ein wenig Zuneigung wünscht –, diese fallen aber nicht weiter ins Gewicht, da die Schauspieler ihre Charaktere sehr überzeugend spielen.
Besonders Katja Riemann als Rabenmutter verstärkt den differenzierten Charakter des Films: Riemanns Figur hat Sehnsucht nach einer eigenen Tochter, die sie in der jungen Berteli findet, welche sie immer wieder zu überreden versucht, sie liebevoll "Mutti" zu nennen. Gleichzeitig ist sie unbarmherzig streng und verhält sich irrational, so dass sie zwielichtig und schizophren wirkt.
Gleichzeitig zeichnet der Film auch das Porträt einer bildungsfernen Gesellschaftsschicht, die nicht viel mit Worten, dafür aber umso mehr mit Schlägen anfangen kann. Insgesamt besticht der Streifen durch seine sehr gute Schauspielerarbeit, die den brutalen Szenen Authentizität und den dramatischen Momenten subtile Atmosphäre verleiht. So wird die Schuldfrage bei aller Differenzierung mit der nötigen Bestimmtheit gelöst, aber nicht plakativ angeprangert.
Weiterhin profitiert der Film von einem sehr guten Setting sowie Requisiten und Kostümen, die eine trostlose und triste Stimmung etablieren. Kombiniert mit einer unaufdringlichen Inszenierungsarbeit entfaltet "Der Verdingbub" gerade zum Ende hin sein volles Potential, während er zu Beginn nur wie eine ordentliche TV-Produktion wirkte.
Doch die wahren Begebenheiten, die den Hintergrund der Geschichte bilden, machen den sehr gut gespielten Film nicht nur zu einem guten Drama, sondern auch zu einem für die Aufarbeitung in der Schweiz wichtigen und unangenehmen Zeitzeugnis über die Opfer der Verdingmärkte.
Fazit: Überzeugendes Drama über die Geschichte der Verdingkinder. das mit subtiler Inszenierung, tollem Setting, guter Ausstattung und Kostümen sowie überzeugendem Schauspielerensemble unter die Haut geht, dabei aber Abstand von der klassischen Schuldfrage nimmt und lieber mit einem differenziertem Blick auf das Thema punktet. Empfehlenswert!
Lucas Curstädt
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Besetzung & Crew von "Der Verdingbub"
Land: Schweiz, DeutschlandJahr: 2011
Genre: Drama
Länge: 103 Minuten
FSK: 12
Kinostart: 25.10.2012
Regie: Markus Imboden
Darsteller: Ursina Lardi, Hanspeter Müller, Heidy Forster, Stefan Kurt, Rebekka Burckhardt
Kamera: Peter von Haller
Verleih: Ascot, 24 Bilder
ZusatzinformationAlles anzeigen
VerdingkinderMeistens Waisen- und Scheidungskinder, wurden zwischen 1800 und 1950 von den Behörden den Eltern weggenommen und Interessierten öffentlich feilgeboten. Bis zum Anfang des [...mehr] 20. Jahrhunderts wurden die Kinder oft auf einem Verdingmarkt versteigert. Den Zuspruch bekam jene Familie, welche am wenigsten Kostgeld verlangte. In einigen politischen Gemeinden soll diese Praxis noch nach 1950 üblich gewesen sein. Betroffene beschreiben, dass sie auf solchen Märkten "wie Vieh abgetastet wurden".
In anderen Gemeinden wurden sie wohlhabenderen Familien durch Losentscheid zugeteilt. Zugeloste Familien wurden gezwungen, solche Kinder aufzunehmen, auch wenn sie eigentlich gar keine wollten. Sie wurden meistens auf Bauernhöfen wie Leibeigene für Zwangsarbeit eingesetzt, meist ohne Lohn und Taschengeld. Nach Augenzeugenberichten von Verdingkindern wurden sie häufig ausgebeutet, erniedrigt oder gar vergewaltigt. Einige fanden dabei den Tod.
Misshandlungen wurden nur sehr selten verfolgt. Wenn solche behördlich festgestellt wurden, wurde den Pflegeeltern das Recht, neue Verdingkinder zu "erwerben", für mindestens fünf Jahre entzogen. Neben der Verfolgung der Jenischen durch die Organisation "Kinder der Landstrasse", deren Kinder selbst häufig von verschiedenen Amtsstellen und (auch privatrechtlichen) Institutionen verdingt wurden, gilt die Verdingung als eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte. Erst in den letzten Jahren griffen die Medien dieses Thema intensiver auf, nachdem es lange Zeit verdrängt worden war.
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ARD zeigt "Der Verdingbub"
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